Positive Tradition

geschrieben von Hans-Rainer Sandvoß

5. September 2013

Der Arbeiterwiderstand gegen den Faschismus darf nicht vergessen
werden

Mai-Juni 2009

Dr. Hans-Rainer Sandvoß ist stellvertretender Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand.

Von ihm ist 2007 das Buch »Die ‚andere‘ Reichshauptstadt – Widerstand aus der Arbeiterbewegung in Berlin von 1933 bis 1945« im Lukas-Verlag Berlin erschienen.

Der so folgenschwere Sieg der NS-Bewegung im Frühjahr 1933 zählt gewiss zu den bittersten Phasen in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Über die Ursachen dieser Katastrophe wird noch heute gestritten. Doch sollte bei aller Kritik, von der weder KPD und RGO noch SPD und ADGB ausgenommen werden dürfen, nie vergessen werden, dass die Hauptschuld für den Untergang der Weimarer Republik und die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler eindeutig auf Seiten rechtskonservativer bürgerlicher Kreise und nicht bei der Arbeiterbewegung lag. Das berüchtigte »Ermächtigungsgesetz« fand sogar die Zustimmung aller bürgerlichen Parteien. Auch das sollte nicht vergessen werden.

Obwohl die Behauptung zutrifft, dass die NSDAP als Massen- und Volkspartei auch viele Arbeiter als Wähler zählte, so bleibt es doch eine Tatsache, dass dem NS-Regime aus der (vormals) politisch und gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft nicht nur der früheste, sondern auch der zahlenmäßig stärkste und opferreichste Widerstand entgegenschlug.

Dies kann gerade am Beispiel der deutschen Hauptstadt belegt werden.

Bekanntlich verzeichnet im März 1933 der von den Arbeiterbezirken dominierte Wahlkreis Berlin (Innenstadt) mit 31,3% – nach dem stark vom katholischen Milieu geprägten Wahlkreis Köln-Aachen – den zweitniedrigsten NSDAP-Stimmanteil im Reich. Und selbst bei der manipulierten Volksabstimmung vom August 1934 stimmte in Groß-Berlin knapp eine halbe Million – und darunter vor allem die alten Arbeiterhochburgen – mit Nein.

Das Widerstandslexikon der Geschichtskommission des Berliner Verbandes der VVN zählt über 10.000 Namen von aktiven politischen Gegnern (die meisten von ihnen litten in Konzentrationslagern und Haftanstalten) auf. Durch die Veröffentlichung »Die ›andere‹ Reichshauptstadt«, die sich ganz überwiegend auf die Auswertung von politischen Prozessen gegen Anhänger der unterdrückten Arbeiterbewegung stützt, konnte ich belegen, dass der Widerstand aus der Arbeiterschaft keineswegs – wie so oft behauptet – 1935/36 »restlos zerschlagen« wurde, sondern dass es in Berlin (mal mehr, mal weniger) immer Widerstand gab und vor allem eine weit über die illegal arbeitenden Kreise hinausgehende – lokal unterschiedlich ausgeprägte – NS-Gegner-Szene.

Der Reichsführer SS wusste doch wohl, worüber er klagte, als er 1937 empört einige »ständige Unruheherde« in Deutschland hervorhob, und dabei – neben vier anderen Zentren der alten Arbeiterbewegung – auch Berlin nannte.

Nicht allein aufgrund eigener Recherchen zum Widerstand in Berlin (rund 500 Interviews), sondern auch dank der intensiven Forschungsarbeiten der Berliner Geschichtswerkstatt, die für das Zwangsarbeiter-Entschädigungsprojekt viele einst nach Berlin verschleppte Osteuropäer lebensgeschichtlich befragte, darf folgende signifikante Erfahrung festgehalten werden:

Unter älteren Facharbeitern und Meistern, also jener Generation und Schicht, die noch den Ersten Weltkrieg erlitten und durch die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung geprägt worden war, schlug den Verfolgten noch die meiste Zuwendung entgegen. (Bei ungelernten Kräften und bei jüngeren Arbeitern sah es dagegen meistens anders aus.)

An dieser differenzierten Sicht ist nicht nur bemerkenswert, dass sie von Verfolgten kommt – die aufgrund ihres schlimmen Schicksals (verständlicherweise) zu pauschalen Urteilen hätten neigen können -, es muss dabei auch die Minoritätenrolle der bis 1933 sozialistisch Organisierten bedacht werden.

So lag der Grad der Gewerkschaftsmitglieder bei den Buchdruckern zwar über 90 Prozent, bei den – gerade in der Berliner Industrie äußerst wichtigen – Metallarbeitern aber lediglich bei etwa 35 Prozent.

Dass die alte Arbeiterbewegung nicht nur eine Klassenbewegung war, sondern dass sie sich als Erbin der Aufklärung und deren revolutionärer Botschaft von den allgemeinen Menschenrechten begriff, hatte offenbar eine starke Minderheit der Lohnabhängigen geprägt und bewährte sich trotz aller Misserfolge und Fehler auch nach dem Ausbruch der Barbarei. Ohne die Frauen und Männer des Widerstandes zu verklären, sollten wir ihre Opfer und ihr Wirken, das sich auf vielfältige Weise dem Terror entgegenstellte, Sabotage der Rüstung betrieb und Menschenleben rettete, in Ehren halten. Denn gerade in Berlin wurde bewiesen:

Es gab nicht nur den 20. Juli 1944.