Rassismus in Ungarn

geschrieben von László Bernáth

5. September 2013

Ultrarechte und Neofaschisten bedrohen die Demokratie

März-April 2009

Unser Autor ist Chefherausgeber des MEASZ Jahresbuches: »TOVÁBB«.

Übersetzung aus dem Englischen: Tanja Girod.

Nach »einer Reihe von Gewalttaten gegen Roma« (so die FAZ vom 26.2.09) wurden erneut zwei Roma 50 km südöstlich von Budapest ermordet: Ein 27jähriger Vater und sein fünfjähriger Sohn wurden erschossen, als sie aus ihrem Haus flüchteten, das zuvor in Brand gesteckt worden war. Zwei weitere Kinder erlitten Brandverletzungen.

Ungarn war der letzte Satellit Hitlers. Diesen nicht unbegründeten Vorwurf machten die aus der Moskauer Emigration zurückkehrenden kommunistischen Führer der Bevölkerung des Landes. Die Anschuldigung traf alle, angefangen vom Semi-Faschisten Horty bis zum Vollfaschisten Szálasi, die verurteilt wurden. Aber auch die ungarische Bevölkerung, für die das nicht nur ungerecht sondern auch psychologisch verletzend war. Wenn wir über den heutigen Rassismus und Nationalismus in Ungarn reden, ist die Erinnerung an die Vergangenheit unvermeidlich, wenn auch nur als eine rasche Skizze.

Rassismus als Thema wurde in den Jahren der so genannten Kádár-Ära verdrängt, selbst das Drama des Holocausts wurde kaum erwähnt. Diese Stille vieler Jahre führte zu dem bedauerlichen Fakt, dass eine aufrichtige Diskussion über die Jahre 1942 bis 45 bis heute nicht stattgefunden hat. So wird zum Beispiel die Rolle der Polizei in diesen Jahren schöngefärbt. Das oberste ungarische Gericht rehabilitierte jüngst einen hochrangigen Polizei-Offizier, der an der Festnahme und Ermordung von Endre Ságvári, einem der außergewöhnlichsten antifaschistischen Widerstandskämpfer des Landes, beteiligt war.

Die Situation heute hat zwei charakteristische Merkmale.

Erstens: Aufgrund des Fehlens einer umfassenden, offenen und aufrichtigen Aufarbeitung der historischen Vergangenheit sind nicht nur bedeutende Teile der öffentlichen Meinung sondern sogar einige Historiker der Meinung, dass nur die Deutschen schuld sind an den Verbrechen der Nazizeit in Ungarn, zuallererst natürlich in Bezug auf den Holocaust.

Zweitens: Die in der Zeit der Systemveränderung gegründete neue Partei, »Allianz junger Demokraten« (FIDESZ), konnte zunächst eine breite Wählerschaft für sich gewinnen. Für eine Legislatur kam sie sogar an die Macht. Nachdem sie allerdings zwei Wahlperioden in der Opposition verbracht hat, öffnet sie sich heute mehr und mehr der extremen Rechten. Im Sommer und Herbst vergangenen Jahres forderten ihre Anhänger vor dem Parlamentsgebäude wochenlang den Rücktritt der Regierung. Gemeinsam mit anderen rechten Gruppen kampierten sie dort in Zelten und versuchten, die Regierung unter Druck zu setzen.

Bereits zum 50sten Jahrestag der Ereignisse von 1956 hatten rechtsextreme Gruppen die Massenversammlungen der FIDESZ genutzt, um im Zentrum Budapests gewalttätige Demonstrationen zu inszenieren, Barrikaden zu errichten und Brände zu legen. Seither hat sich die Situation weiter verschlimmert. Eine offen nationalistische und rassistische Gruppierung spaltete sich von FIDESZ ab und gründete sich unter dem Namen »Jobbik« neu. Sie schuf sich eine so genannte unbewaffnete Einheit, die Schießübungen veranstaltet und die gleichen Uniformen trägt, wie sie einst die faschistischen Pfeilkreuzler trugen. Diese paramilitärische Einheit mit dem Namen »Magyar Gárda« – Ungarische Garde – hat bereits an verschiedenen Orten fürchterliche Demonstrationen gegen dort ansässige Roma und Sinti veranstaltet.

Andere derartige Gruppen marschieren in Uniformen der Horthy Armee und nahmen darin zum Beispiel in der Slowakei an einer Gedenkveranstaltung teil. Unter dem Namen »Goj motorcyclists« hat sich eine Motorradgang gegründet. Goj heißt auf Jiddisch »Nichtjude«. Die Rocker erscheinen bei verschiedenen Gelegenheiten und veranstalteten ohrenbetäubenden Lärm. So tauchten sie unter anderem vor dem Verlagsgebäude der »NÉPSZAVA« auf. Die mit mehr als 130 Jahren älteste ungarische Tageszeitung ist eine flammende Vertreterin sozialdemokratischer Ideen. Einer ihrer Journalisten hatte Witze über die »Goj motorcyclists« gemacht. Es folgte eine Gegendemonstration mit vielen Teilnehmern, Sympathisanten der Zeitung, Linksintellektuellen und Politiken. Sogar der Premierminister war anwesend.

Die Ungarische Vereinigung der Widerstandskämpfer und Antifaschistischen MEASZ befindet sich in einer schwierigen Situation. Ihre Mitglieder altern, sie sind um die achtzig Jahre alt. Dennoch war die MEASZ in der Lage, eine kleine aber wichtige Gegendemonstration am Geburtsort der »Ungarischen Garde« zu organisieren.

Es gibt auch noch einen anderen, tragischen Aspekt der Situation im heutigen Ungarn: Unter dem Deckmantel der »Verteidigung der Freiheitsrechte« weigern sich Staatsanwaltschaft und Gerichte – die üblicherweise selbst von rechten Gefühlen getragen werden – gegen rechtsextreme Gruppen vorzugehen. So gibt es seit mehr als einem Jahr immer noch kein Verbot im Prozess gegen die offen faschistische Organisation »Vér és besület« (Blut und Ehre).

Männer und Frauen, die einst Widerstandskämpfer und Insassen von Konzentrationslagern waren, haben große Probleme das alles zu verstehen. Doch sie sind immer noch am Leben.