»Rat der Götter«

geschrieben von Klaus Woinar

5. September 2013

Umfassende Studie zur Geschichte der IG Farben erschienen

Nov.-Dez. 2007

Janis Schmelzer, ein profunder Kenner des IG Farben-Konzerns, stellt die Absicht seiner Studie in der Einleitung wie folgt dar: »Schlaglichtartig wird das Verhältnis der aufstrebenden Chemiefirmen zu der jeweiligen Staatsmacht in den drei aufeinander folgenden Staatsformen beleuchtet.« Für das Kaiserreich stellt er die einflussreichen Persönlichkeiten Carl Duisberg, Carl Bosch und Fritz Haber in den Vordergrund. Für die Zeit Weimarer Republik untersucht er die wachsende Einflussnahme der Direktoren der sich 1925 zur IG Farben zusammenschließenden Chemiefirmen, die sich machtbewusst als der »Rat der Götter« verstanden. Die engen Verflechtungen zwischen der Nazi-Diktatur und der »IG-Farben« sollen am Beispiel der Aktivitäten der nun den Konzern beherrschenden Vorständler Carl Bosch und Carl Krauch bewiesen werden.

Das erste Kapitel des Buches behandelt die Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges über die Nachkriegskrise bis zur Gründung der IG Farben 1925. An der, den Prozess der Konzentration in der deutschen Chemieindustrie prägenden, Persönlichkeit, des »angestellten Unternehmers« Carl Duisberg, analysiert der Autor das Expansionsbestreben, welches in Zusammenarbeit mit militärischen Eliten zum Ersten Weltkrieg und im Kriege zu Kriegsverbrechen an Soldaten und ausländischer Zivilbevölkerung führte. Die Zitate aus Duisberg Denkschriften von 1904 und 1915 und anderen Dokumenten sind treffend. Im Unterkapitel »Klassenauseinandersetzungen 1918-1924« belegt Janis Schmelzer die offene Parteinahme von Vertretern der Weimarer Republik zum Schutz der Interessen der IG-Herren.

Das umfangreiche zweite Kapitel behandelt die Zeit von der Bildung der »Interessengemeinschaft der deutschen Teerfarbenfabriken AG (IG Farben)« 1925 bis zur Machtübergabe an Hitler. Im Zentrum steht dabei die IG-Spionage-Zentrale »Berlin NW 7«. Viele der hier beheimateten Büros des Konzerns dienten insbesondere der Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg sowie der Militarisierung der Wirtschaft. Der Autor beleuchtet außerdem die Aktivitäten der IG in aller Welt. Die Namen der IG-Manager Max Ilgner, Carl Bosch, Carl Krauch, Fritz Gajewski als auch die Firmen Standard Oil und Norsk Hydro werden genannt, und damit verbunden die der im Berliner Büro beheimateten Abteilungen zur Tarnung von Auslandsbesitzungen der IG vor dem deutschen Fiskus wie auch die vielfältigen Verquickungen mit Wehrmachts- und Rüstungsdienstellen, um die Profite zu maximieren. Im Unterkapitel »Vom ›Kalle-Kreis‹ zum ›Freundeskreis Reichsführer SS‹« veranschaulicht Schmelzer die Verbindungen zu den politischen Interessensbewahrern in der Weimarer Republik über die frühzeitige finanzielle Förderung der Nazi-Partei ab Januar 1932, wie auch die Zusammenarbeit mit den Mussolini-Faschisten. In einem weiteren Unterkapitel schildert er den Aufbau und die Tätigkeit der »einzigen deutschen konzerneigenen Kolonialschule« in der Dübener Heide, sowie die Entsendung von Konzernvertretern in Nazi-Ministerien.

»Krieg und Neuordnung« behandelt Schritte der IG zur Tarnung eigener Tochterfirmen in zu erwartenden »Feindstaaten«, der Unterstützung des spanischen Putschgenerals Franco gegen die demokratisch gewählte Regierung, zur Beutesicherung in den von der Wehrmacht okkupierten Ländern Europas. Aber es werden auch die Anstrengungen von IG-Beauftragten in enger Zusammenarbeit mit NS-Dienststellen zur Sicherung des IG-Vermögens für die Nachkriegszeit beleuchtet, wofür die IG-Farben die Schweiz bevorzugte.

Im letzten Kapital »Die Täter unter Anklage« wird die juristische Aufarbeitung der verbrecherischen Rolle dieses Konzerns, beginnend mit Versuchen, die IG bereits nach dem Ersten Weltkrieg zur Verantwortung zu ziehen, über die Verbrechensbeweise im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess über den Nürnberger »IG Farben Prozess« 1947/48 bis hin zu den Auseinandersetzungen zwischen den Opfern und führenden Vertretern der ehemaligen IG Farben, die in Nachfolgeunternehmen tätig waren, und der »I.G. Farben in Auflösung«.

In diesem Kapitel bezieht der Autor eindeutig Stellung für die Forderungen der Opfer.

Dem Buch liegt ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis zugrunde. Wichtige Dokumente sind zum Teil als Faksimile abgedruckt. Eine Erläuterung benutzter Abkürzungen erleichtert das Verständnis. Der Autor wird seinem Anliegen, »einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis des Phänomens IG Farben zu leisten« vor allem durch Beweisführung mit den Unternehmensdokumenten, die zum Teil erstmals publiziert werden, durchaus gerecht.

Janis Schmelzer

IG Farben vom »Rat der Götter« Aufstieg und Fall

Schmetterling Verlag, Stuttgart 2006, 200 S., ISBN 3-89657-469-8

Die Verfolgung der Aktivitäten zur Kriegsvorbereitung und der verschlungenen Wege der I.G. zur Tarnung ihrer Tochterfirmen im Ausland erschweren in ihrer Detailtreue etwas die Lesbarkeit.

Insgesamt ein empfehlenswertes, trotz der Detailfülle, handliches Lehrbuch über die Machtfülle und politische Praxis eines transnationalen Mammutkonzerns. Parallelen zum gegenwärtigen Konzentrationsprozess von »Global Playern« kann der Leser selbst ziehen.