»Repressive Regime«

geschrieben von Hannes Püschel

5. September 2013

Eine EU-Studie zur Geschichtspolitik

Mai-Juni 2011

*http://ec.europa.eu/justice/doc_centre/rights/studies/docs/memory_of_crimes_en.pdf

Im Jahr 2008 wurden in der EU mit dem Rahmenbeschluss 2008/913/JI zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Holocaustleugnung unter Strafe zu stellen. Während der Diskussion um diesen Beschluss wurde von einigen mittelosteuropäischen Staaten gefordert, darin auch die »Leugnung, Rechtfertigung und Verharmlosung kommunistischer Verbrechen« aufzunehmen. Deren europaweite Kriminalisierung würde nämlich den erfolgreichen Abschluss des Kampfes um die Durchsetzung eines antitotalitären Geschichtsbildes in der EU bedeuten. Denn einerseits würde damit die Gleichartigkeit von Shoa und »kommunistischen Verbrechen« symbolisch festgelegt. Zum anderen könnte dann jede Kritik an der Totalitarismusdoktrin, die einen kausalen Zusammenhang zwischen dem deutschen Vernichtungskrieg und der Kollaboration nationalistischer Bewegungen in Mittelosteuropa einerseits und sowjetischer Repression andererseits herstellt als »Rechtfertigung« und jede Kritik, die den qualitativen Unterschied zwischen Shoa und realsozialistischen Menschenrechtsverletzungen betont, als »Verharmlosung« verboten werden. Zwar konnte sich diese Forderung nicht durchsetzen, allerdings wurde festgelegt, dass zwei Jahre nach Inkrafttreten des Beschlusses geprüft werden solle, ob dieser um die Strafbarkeit der Leugnung kommunistischer Verbrechen ergänzt werden müsse. Mit der Erstellung einer entsprechenden Studie wurde der spanische Politologie-Professor Carlos Closa Montero beauftragt, nach dem diese auch als Montero-Report benannt ist. Sie wurde im Januar 2010 unter dem Titel »Study on how the memory of crimes commited by totalitarian regimes in Europa is dealt with in the Member States«* vorgelegt und dürfte in absehbarer Zeit die »wissenschaftliche« Grundlage für die geschichtspolitischen Maßnahmen der EU bleiben.

Sie enthält neun Teile, die vergleichend die Geschichte repressiver Regime in den Mitgliedsstaaten (1.), Formen des Übergangs zur Demokratie (2.), rechtliche Instrumente für den Umgang mit dem Erbe der Regime (3.), die Rehabilitierung der Opfer (4.), die Verfolgung der Täter (5.), Mechanismen zur Wahrheitsfindung (6.), die Archivsituation (7.), die Bewahrung der Erinnerung (8.) und die internationale Zusammenarbeit (9.) darstellen.

Schon im Titel wird mit der Verwendung des Terminus »totalitär« die Grundannahme einer gleichsetzenden Geschichtsbetrachtung akzeptiert. Allerdings wird im Vorwort der Gegenstand der Betrachtung geändert, indem erklärt wird, dass die Studie einen Überblick über den Umgang in den EU-Staaten mit von repressiven Regimen begangen Verbrechen liefern soll. Als repressive Regime im Sinne der Studie werden alle nichtdemokratischen Herrschaftsformen unter denen es zu Menschenrechtsverletzungen kam verstanden. Damit wird das Problem umgangen, dass es keine wissenschaftlich unumstrittene Definition des Begriffes »totalitäres Regime« gibt. Trotzdem bleibt die antitotalitäre Gleichsetzung von faschistischen und sozialistischen Diktaturen die theoretische Grundlage des Reports.

Während allerdings der Umgang mit den Diktaturen in Portugal, Spanien, Griechenland beleuchtet wird, werden die autoritären und diktatorischen Regime der Zwischenkriegszeit in Ostmitteleuropa vollständig ignoriert und die dortigen Kollaborationsbewegungen nur oberflächlich behandelt. Stattdessen wird das Museum für die estnische SS-Division in Pärnu als Erinnerungsstätte aufgelistet. Hier macht sich bemerkbar, dass die Informationen über die jeweiligen Länder von nationalen Experten stammen, die offensichtlich nicht noch einmal kritisch überprüft wurden.

Der Report stellt fest, dass die Leugnung kommunistischer Verbrechen bisher nur in den östlichen Mitgliedsstaaten strafbar ist. Gestützt darauf hat die Europäische Kommission im Dezember 2010 das Ansinnen, die Leugnung kommunistischer Verbrechen unter Strafe zu stellen vorerst zurückgewiesen, weil es in dieser Hinsicht noch keinen einheitlichen europäischen Standpunkt gäbe. Sie betont aber gleichzeitig, dass die EU sich einer antitotalitären Erinnerungs- und Geschichtspolitik verpflichtet sieht.

Bei aller Kritik an den theoretischen Voraussetzungen des Reports und seiner teilweisen Lückenhaftigkeit, liefert er doch einen materialreichen Überblick über die Geschichtspolitik der EU-Staaten und ermöglicht damit auch die Erarbeitung einer Kritik an dieser auf der Höhe der Zeit.