Richard oder Wilhelm

geschrieben von Thomas Willms

5. September 2013

Das ZDF versuchte sich im Genre »Feldzugserie«

Mai-Juni 2013

Unsere Mütter, unsere Väter, 3 Teile, 270 Minuten, ca. 17,00 Euro

Band of Brothers, 10 Teile, 603 Minuten, ca. 20,00 Euro

The Pacific, 10 Teile, 522 Minuten, ca. 24,00 Euro

Eugene Sledge: With the old breed. At Peleliu and Okinawa, 384 Seiten, 6,30 Euro

Paul Fussel: Wartime: Understanding and Behavior in in the Second World War, 352 Seiten, 16,50 Euro

Der von der Firma »teamWorx« produzierte Wehrmachts-Dreiteiler »Unsere Mütter, unsere Väter« erreichte bei seiner ZDF-Erstausstrahlung im März sieben Millionen Zuschauer. Das übertrifft quantitativ alle Schulstunden zum Thema in diesem Jahr zusammengenommen und wirkt mit Sicherheit auch stärker.

Wenn dieser Film aber den Stand des öffentlichen Bewusstseins über die Verbrechen der Wehrmacht widerspiegelt und gleichzeitig weiter prägt, steht es schlecht um uns. Als Kunstwerk ist »Unsere Mütter, unsere Väter« gescheitert. Die Grundkonstellation – das Schicksal eines Freundeskreises aus zwei Soldaten, einer Krankenschwester, einer Sängerin und eines verfolgten Juden mit den Geschehnissen an der Ostfront zu verknüpfen – ist von vornherein unglaubwürdig. Den Autoren gelingt kein schlüssiges Drehbuch, so dass die Handlung durch dramaturgische Notmaßnahmen vorangetrieben werden muss, die sich im dritten Teil bis ins Fantastische versteigen, obwohl doch alles furchtbar ernst gemeint sein soll. Man sollte meinen, dass auch dem letzten Zuschauer klar sein muss, dass sich die Prota-gonisten nicht andauernd zufällig an der Ostfront über den Weg laufen können.

Gelungen ist hingegen der »Look«. Von einigen Ausstattungsfehlern (Bewaffnung!) abgesehen, sind Feldlager-, Lazarett-, Gefängnis- und Front-Atmosphäre für deutsche Fernsehverhältnisse gut wiedergegeben.

Auch hat der Film ohne Zweifel überzeugende Szenen. So zum Beispiel die, in der sich ein Berliner Waschweib in ihrer arisierten neuen Wohnung darüber beschwert, dass »die Drecksjuden nicht mal saubergemacht haben.« Beeindruckend sind aber insbesondere die Kampfszenen mit ihrer Kameraarbeit im Dokumentarstil. Selten wurde die Wehrmacht als so selbstsicher, geschickt und aggressiv in Szene gesetzt. Dies ist um vieles glaubwürdiger als viele gutgemeinte Werke, in denen deutsche Soldaten grundsätzlich als Trottel dargestellt werden und man sich fragt wie diese Armee bis an die Tore Moskaus gekommen sein soll.

Gerade diese Szenen verweisen aber auf den weiteren Kontext in dem dieser Dreiteiler gesehen werden muss. Mit Stolz verweisen die Fernsehzeitungen – hinter denen die PR-Arbeit von teamworx steht – darauf, dass man hier das Niveau von »Band of Brothers« erreicht habe.

Diese zehnteilige US-amerikanische Serie von 2001 über der Weg einer Kompanie Paratroopers vom Ausbildungslager über die Normandie bis nach Deutschland ist nun aber der Grundstein eines eigenen überaus interessanten und wichtigen Genres, der »Feldzug-Serie«. Der Titel »Band of Brothers« entstammt Shakespeares »Heinrich V.« Shakespeare legte dem englischen König eine Erkenntnis in den Mund, die die Militärpsychologie seit Jahrzehnten kennt. Demnach ist das Fundament soldatischer Motivation nicht Nation, Führer, Gott oder eine andere Ideologie, sondern die Bewährung in den Augen der Gruppe Mitkämpfender. Dieser »Bruderbund« bildet sich durch gemeinsames Leiden und Töten. Durch ihn trennen sich die Soldaten von der Zivilisation ab.

Das moderne Genre zeigt nun den Weg eines solchen Bruderbundes – konkret einer Kompanie oder eines Zuges – über einen ganzen Feldzug hinweg und bearbeitet folgende Facetten und Fragen: den Verlauf des Feldzuges und die Beteiligung einer Einheit an diesem; die Beziehungen der Soldaten zu feindlichen und freundlichen Zivilisten sowie zu ihren Familien und Frauen; das Verhältnis von anführendem Offizier zu seinen Soldaten und als Kernfrage die Veränderungen in Verhalten und Fühlen der Soldaten.

Diese Veränderungen bestehen im körperlichen, geistigen, seelischen und moralischen Zerfall von Soldaten im Laufe längerer Kampfhandlungen. Paul Fussell, der böseste aller Kritiker des US-Militärs im Zweiten Weltkrieg, geht in seiner Abrechnung mit der Army davon aus, dass der »wirkliche Krieg« sowieso nie in die Bücher komme. Immerhin, könnte man einwenden, gibt es die Autobiographie von Eugene Sledge, auf der maßgeblich das verstörende bisherige Glanzstück des Genres »The Pacific« über die Kämpfe auf Okinawa und anderen Pazifik-Inseln basiert. »The Pacific« zeigt wie die US-Soldaten ihren – korrekt als unfassbar grausam auftretenden – japanischen Gegnern immer ähnlicher werden bis sie am Schluss zu der festen Überzeugung gekommen sind, dass der Krieg erst vorbei sein wird, wenn auch der letzte Japaner tot ist. Den Abwurf von »neuartigen Bomben« auf japanische Städte nehmen sie entsprechend hoch erfreut zur Kenntnis und sind perplex als darauf die japanische Kapitulation folgt.

Auch »Band of Brothers« hat dokumentarischen Charakter, da die Spielhandlungen durch Interviewausschnitte mit den realen Personen eingeleitet und kontrastiert werden.

Zu den Unverschämtheiten von »Unsere Mütter, unsere Väter« gehört, dass die fiktiven Charaktere im Abspann als real vorgetäuscht werden. Den deutschen Kompanieführer und Ich-Erzähler »Wilhelm Winter« gab es nicht, den amerikanischen Fallschirmjäger »Richard (Dick) Winters« aber schon.

»Unsere Mütter, unsere Väter« will viel zu viele Botschaften vermitteln, die einander auch noch widersprechen. Die Wehrmacht soll kritisiert und zugleich freigesprochen werden, das Schicksal jüdischer Deutscher wird gleichzeitig beschworen und verschleiert. Er will die Härten der Ostfront zeigen und trotzdem die Freigabe ab 12 Jahren behalten. Er will die ans deutsche Pantoffelfernsehen gewohnten Zuschauer ansprechen und zugleich höhere internationale Standards einführen. Was dabei herauskommt ist ein Werk dem jeder Halt fehlt und aus dem sich jeder herauspicken kann was ihm gefällt.

Winters Vorgesetztem wird in den Mund gelegt, dass dieser Feldzug gegen die Sowjetunion »ein anderer Krieg« sei. Doch was für einen zeigt der Film? Man sieht die Ausführung des Kommissar-Befehls, eine »Minenprobe« und die summarische Hinrichtung von Partisanen-Helfern, alles Maßnahmen einer Kriegführung, die der Zuschauer für übertrieben oder falsch halten kann, aber eben auch als Teil eines harten Krieges und somit auch irgendwie verständlich. Am stärksten prägt sich der Soldat Friedhelm Winter, Bruder des Kompanieführers, ein. Es ist nicht nur das Erschießen von Bauern und Kindern, was betroffen macht, sondern die Beiläufigkeit und die unverzögerte Art des Anlegens und Schießens. Die dargestellte Effizienz ist aber nun keineswegs nur abschreckend, sondern wie alle siegreichen Gewaltdarstellungen auch attraktiv. Es hat nicht lange gedauert, bis sich Wehrmacht-Fans ihre »best of«-Szenen für youtube zusamenschnitten, vertonten und seitdem von tausenden Nutzern kommentieren lassen.

Im Wesentlichen sind die Deutschen aber nett zu den russischen Zivilisten. Kein Bild vom durch die Wehrmacht erzeugten Hunger, den Brandschatzungen oder den Vergewaltigungen. Letztere auszuüben bleibt den siegreichen Sowjetsoldaten vorbehalten. Und insbesondere kein Bild ihrer Gewalt gegen Juden. Fein säuberlich wird diese Verantwortung abgeschoben an die SS – in Form eines irreal vereinzelten Hauptsturmführers – und an Ukrainer und Polen. Es sind Männer mit gelb-blauen und rot-weißen Armbinden, die treten und schlagen, die Juden ertränken wollen »wie Katzen«, nicht Männer in Wehrmachtsuniformen.

Das Verhältnis zu ihren Familien und Frauen nimmt in »Unsere Mütter, unsere Väter« einen übergroßen Raum ein. Die Produzenten orientieren damit auf das deutsche Fernsehpublikum, das Schmachtfetzen gewohnt ist und überlagern gleichzeitig den »Bruderbund« durch einen fünfköpfigen »Freundschaftsbund«.

Der ist durch Liebeleien verschränkt, feiert im Juni 1941 gemeinsam Abschied – inklusive realitätsfern des Juden – und trifft sich um zwei Köpfe reduziert am Ende wieder – ebenfalls inklusive des Juden. Der bleibt im übrigen die komplette Kriegs- und KZ-Zeit über gut genährt, ordentlich frisiert und lebenslustig. Übertroffen wird dieser Unsinn nur noch durch die Figur einer jüdischen Ärztin, die obwohl verraten durch die deutsche Krankenschwester, am Schluss als sowjetische Offizierin auftaucht, um ihre Denunziantin zu retten. Herzerweichend wie wenig nachtragend Holocaust-Opfer doch sind!

Am Schluss tun Wilhelm und Friedhelm, was in Wirklichkeit eben nicht geschehen ist: Beide -töten ihre sadistischen Vorgesetzten und befreien auf -diese Weise sich und das Publikum vom Nazismus. Am Ende ist es also wieder gut was »unsere« Väter und Mütter getan haben. Und der Zuschauer wird zugleich als das Kind von Wehrmachtssoldaten und jüdischen Opfern entlassen.