»Schuhhaus Pallas«

geschrieben von Dorothée Menzner

5. September 2013

Amelie Fried folgt den Spuren ihrer Familie in der Nazizeit

Nov.-Dez. 2008

Amelie Fried:
Schuhaus Pallas. Wie meine Familie sich gegen die Nazis wehrte. C. Hanser. 187 Seiten, geb. 14,90 Euro

Vollständige Lesung auf 4 CDs. Der Hörverlag 19,95 Euro

Das Bändchen erschien im Frühjahr diesen Jahres. Es besticht weniger durch seinen literarischen Stil, als durch seinen Inhalt. Erzählt wird eine scheinbar alltägliche Geschichte. Die Autorin stößt im Alter von 46 Jahren eher zufällig darauf, dass sie assimilierte jüdische Vorfahren hat. Nun beschreibt sie, nicht ohne pädagogischen Impetus, ihre Schritte bei der Erkundung der Familiengeschichte, das Entsetzen darüber, dass die eigenen Leute von Verfolgung und Völkermord betroffen waren, die daraus resultierenden Deformationen und Probleme in den Beziehungen der Verwandtschaft. Schließlich das einsetzende Verstehen für Ursachen und Wirkungen des Geschehenen.

Im Ulm der Nachkriegsjahre, und somit auch in der Familie Fried, wurde über die Zeit des Faschismus geschwiegen. Exemplarisch, wie wohl in ganz (West-)Deutschland. Als Amelie Fried bei der Recherche ihre alte Tante danach fragt, kommt die – typische – Antwort » Ich möcht nimmer über damals reden« und auf die Frage warum sie denn früher nie geredet hätte: »Es hat mich keiner gefragt«.

Nichts wurde in der Familie davon berichtet, dass der Großvater als Jude geboren worden war, nichts darüber, dass sich seine arische Frau von ihm scheiden ließ um das Schuhhaus, die ökonomische Grundlage der Familie, erhalten zu können. Kein Wort wurde verloren über die Tatsache, dass der Rat, sich scheiden zu lassen von Amelies Vater stammte, niemand wollte sich an all die verrückt- naiv anmutenden Versuche, das Überleben zu organisieren, erinnern. Der Großvater überlebte – dank einiger Zufälle. Und während seine geschiedene Frau, mit der er nach dem Krieg wieder zusammen lebte, als sei nichts geschehen, unter der Last des Erlebten immer mehr verstummt, gibt er den jovialen Geschäftsmann der sein Geschäft wieder übernimmt. Als er zum Sportvereinsvorsitzenden berufen wird, nimmt er den Ruf an. Nur nicht an der Vergangenheit rühren, die doch so verletzte Menschen hinterlassen hat!

Auch die Enkel, Amelie und ihre Geschwister, registrieren die gespannte Atmosphäre in der Familie, können sie sich aber nicht erklären. Zu fragen trauen sie sich nicht. Selbst heute sind die Fragen der Autorin eher zaghaft und bemüht, den vertrauten Menschen nicht zu nahe zu treten. Und doch macht das Buch, von dem ich mir gut vorstellen kann, dass es von jungen Menschen angenommen wird, weil hier eine bekannte TV-Moderatorin ganz privat und persönlich berichtet, in mehrfacher Hinsicht nachdenklich.

Es unterstützt meine Überzeugung, dass das im Faschismus Erlebte, wenn es nicht aufgearbeitet wurde, nachfolgende Generationen bis heute beeinflusst, prägt und auch belastet. Und Aufarbeitung war – zumindest in Westdeutschland – nicht üblich. Man schaute nach vorn und wollte von der Vergangenheit nichts mehr wissen. Es ist ein großes Verdienst des Buches, dies so anschaulich beschrieben zu haben. Ebenso wie es dem Grauen ein ganz persönliches, menschliches und durchschnittliches Antlitz gibt. Damit wird das Unfassbare wenig-stens in Facetten fassbar. Gut auch, dass es einen Bogen zum Hier und Heute spannt. Denn schon bevor Amelie Fried ihre Familiengeschichte kannte, erhielt sie, genau wie ihr Großvater und auch ihr Vater, immer wieder antisemitische Schmähbriefe. Spätestens damit wird deutlich, wie nötig Aufklärung ist. Denn all das, was verschwiegen wird, wirkt im Dunkel weiter.