Schwarz mit rotem Winkel

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Wie Gert Schramm das KZ Buchenwald überlebte

Juli-Aug. 2011

Gert Schramm ist Mitglied des Häftlingsbeirates der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald-Dora und Kommandos. Er lebt in Eberswalde und ist als Zeitzeuge auf zahlreichen Veranstaltungen sehr gefragt

Gert Schramm »Wer hat Angst vorm schwarzen Mann«, Aufbau Verlag

2011, 267 Seiten. 19,95 Euro

»Zum 60. Jahrestag der Befreiung Buchenwalds erzählte ein französischer Kamerad, der sich in der Gedenkstättenarbeit sehr engagiert, er werde öfter gefragt, was ihn als alten Mann eigentlich mit der Jugend verbinde. Darauf hat er mit zwei Worten geantwortet: »Die Zukunft!«. Ich sehe das ganz genauso. Dass ich es endlich geschafft habe, meine Geschichte aufzuschreiben, ist kein Ende. Es ist ein Anfang.« (Gert Schramm)

Zum Weiterlesen: Peter Hochmuth und Gerhard Hoffmann (Hrsg.): Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen. Lebensbilder. Dietz Verlag, Berlin 2007

Der Aufbauverlag Berlin legte auf der diesjährigen Frühjahrs-Buchmesse in Leipzig die schon lang erwartete Autobiografie von Gert Schramm (83) vor: »Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann?« Seit Jahren hat Gert Schramm unermüdlich vor Schulklassen aus seinem Leben erzählt: 1928 in Erfurt geboren, sein Vater arbeitete damals dort für eine US-Stahlbaufirma, also vorübergehend in Deutschland. Weil er aber Afroamerikaner war, galt sein Sohn Gert dann im Dritten Reich als »Mischling ersten Grades« und war seitdem öffentlicher Verachtung ausgeliefert, bis er nach Haft und Folter in Gefängnissen sogar noch 1944 als 15-Jähriger ins KZ Buchenwald verschleppt wurde.

Unzählige Schüler haben Gert Schramm nach seinem Lebensbericht gebeten, unbedingt das alles aufzuschreiben, weil »… doch nur noch wenige am Leben sind, die die Hölle der Konzentrationslager erlebt haben«. Autor und Verlag haben uns diese Bitte erfüllt. Und ich kann nur hoffen, dass es ein Schüler-Lesebuch zum Thema »Rassismus in Deutschland« wird. Da ist von hochmütiger Verachtung bis zu Misshandlungen durch Lehrer und Mitschüler die Rede, aber auch von der energischen, beschützenden Fürsorge der Großmutter, von dem selbstbewussten, warmherzigen Dorfschäfer, der den Jungen, wenn er aus Verzweiflung die Schule schwänzte, in seiner Herde versteckte. Die Schule will den »schwarzen Unruhestifter« in einem Kinderheim für »Nichtarier« unterbringen, was die Großmutter lebensklug wieder zu verhindern weiß. Dass ein katholisches Kinderheim, in dem »Zigeunerkinder« untergebracht sind, sich nicht auch noch einen »schwarzen« Jungen aufbürden will, wird für Gert sogar die lebensrettende Absage, weil sehr bald alle Kinder nach Auschwitz deportiert werden.

Der Junge muss viel zu früh lernen, dass es Erwachsene und Kinder gibt, die Mitmenschen verachten, dass es »Denunzianten und Emporkömmlinge gibt, die sogar Kinder ins Verderben stürzen«; er erlebte aber auch jene, »die das nicht unterstützten und trotz Willkür, Einschüchterung und Propaganda ihre Menschlichkeit nicht preisgaben«. Aufgrund der Nürnberger Rassegesetze darf er keine Lehre antreten, aber ein Freund des Großvaters nimmt ihn als »Handlanger« in einer Autowerkstatt auf, wo man ihn nicht nur schützt, sondern auch gut ausbildet. 1943 wird er während der Arbeitszeit von der Gestapo verhaftet, wird von Verhör zu Verhör transportiert und muss tagelang bei Schlägen hungrig in Einzelhaft ausharren.

Im Juli 1944 wird er dann nach Buchenwald transportiert, und weil er als Häftling gar nicht als »schwarzer Mann« einzuordnen ist, muss er sich den »roten Winkel« annähen und bekam die Nummer 49489/Block 42. Als Jüngster erfährt er die Solidarität seiner kommunistischen Kameraden, die ihm beibringen, dass man nur mit einem Ziel und starkem Willen überleben kann.

Tatsächlich ist Gert Schramm, als Buchenwald zuerst von innen und dann von der US-Army von »außen« befreit wird, einer der 21 000 Überlebenden. Schramm beendet sein Buchenwald-Kapitel mit dem eindrücklichsten Tag in seinem jungen Leben, dem 18. April 1945, als die überlebt habenden Häftlinge sich in einer Trauerfeier für die unzähligen Toten, auch voneinander für das Leben im beginnenden Frieden verabschieden.

Die Rede von Walter Bartel wurde in fünf Sprachen übersetzt, und in fünf Sprachen schallte das gemeinsame Gelöbnis über den Platz, gegen den Faschismus und für eine andere, bessere Welt einzutreten: »Wir schwören … Und ich verstand: Jeder von uns, der überlebt hatte, war den Toten etwas schuldig … auch sich selbst!« Dieser Schwur ist heute das Credo unserer antifaschistischen Bewegung.

Der Lebenslauf von Gert Schramm ist bewegend. Er erfährt, dass sein Vater bei dem Versuch, wieder nach inzwischen »Nazi-Deutschland« zu kommen, um seine Frau endlich heiraten zu können, verhaftet wurde und auf dem Transport nach Auschwitz ermordet worden ist.

Gert Schramm hat in Bergwerken in Ostdeutschland gearbeitet, ist in Westdeutschland Kumpel gewesen. Als er wieder in der DDR in Eberswalde mit Frau und Kindern lebt, holt er alles an Ausbildung nach, was ihm zuvor verwehrt war.

Dass nach der Wende ausgerechnet in seiner Stadt Eberswalde der Angolaner Amadeo Antonio das erste Todesopfer rechtsextremer Gewalt geworden ist, war für ihn ein tiefer Schock im nun wieder vereinten Deutschland. Er begreift, dass sein eigener Schwur damals im befreiten KZ Buchenwald 1945 brennend aktuell ist. Er will jungen Menschen helfen, in sein persönliches »Nie wieder Faschismus« einzustimmen. Er erzählt aus seinem Leben vor Schulklassen, immer wieder! Und dieses, sein Buch, wird hoffentlich vielen jungen Menschen nun ein Lernbuch werden! Also: Der beste Dank an Autor, Verlag und die sorgfältige Lektorin ist wohl: das Buch kaufen, lesen, verborgen oder verschenken! Mehr noch: mit jungen Menschen darüber reden!