Schwule Nazis

geschrieben von Michael Csaszkóczy

5. September 2013

Wichtige Denkanstöße und eine fragwürdige Konsequenz

März-April 2008

Markus Bernhardt: „Schwule Nazis und der Rechtsruck in Gesellschaft und schwuler Szene“, Pahl-Rugenstein, 220 S., Euro 18,90, ISBN 978-3-89144-387-3

„Schwule Nazis“ so heißt das Buch, das Markus Bernhardt im Pahl- Rugenstein -Verlag veröffentlicht hat und die Irritation funktioniert immer noch. Schwule Nazis. so etwas gibt´s doch nicht, oder? Schließlich galt und gilt den Nazis der Schwule doch als Inbild der „Entartung“ und „Entmännlichung“.

Tatsächlich ist mit dem Buchtitel nicht etwa eine unreflektierte Beschimpfung seitens jugendlicher HipHopper, die etwas gegen Rechte haben, gemeint. (Die exzessive Verwendung des Begriffes „schwul“ als Schimpfwort im jugendlichen Alltagsgebrauch ist allerdings auch ein Zeichen dafür, wie weit rechtes und ausgrenzendes Denken bereits Teil der Mehrheitsgesellschaft geworden sind.) Rechts und schwul zu sein, das zeigt Markus Bernhardt in seinem Buch

facettenreich auf – ist keineswegs ein Widerspruch. Die Linke, immer auf der Suche nach Identifikationsfiguren , ist immer wieder in die Falle getappt, aus der Ausgrenzung und Verfolgung durch die Nazis den Schluss zu ziehen, die Ausgegrenzten und Verfolgten müssten aufgrund ihrer Erfahrungen klüger, bewusster, politisch reflektierter geworden sein. Diesen Automatismus aber gibt es nicht. Nicht, dass Schwule in unserer Gesellschaft nicht nach wie vor diskriminiert und verfolgt würden, und das keineswegs nur von Nazis. Sie fanden und finden sich aber durchaus auch auf der Täterseite. Rassismus, Antisemitismus und die Sehnsucht nach dem autoritären Staat sind

keineswegs Einstellungen, für die nur Heteros empfänglich wären. Schwule und Lesben stellen in weiten Teilen, im Guten wie im Schlechten, ein Spiegelbild der Gesamtgesellschaft dar. Das Buch füllt insofern eine seit langem klaffende Lücke, die um so erstaunlicher ist, als dass Faschismus und Homosexualität schon historisch in einem äußerst widersprüchlichen Verhältnis stehen, das von der Verfolgung und Vernichtung Schwuler ebenso geprägt ist wie von der Verherrlichung der „mann-männlichen Liebe“ in den rechten männerbündischen Theorien der 1920er-Jahre.

Der Autor versucht, das widersprüchliche und komplizierte Verhältnis Homosexualität und Rechtsextremismus von möglichst vielen Seiten her zu betrachten. So wird die nazistische Verklärung von Homosexualität, wie sie von Ernst Röhm und später von Michael Kühnen betrieben wurde ebenso thematisiert, wie die Verfolgung Schwuler im Dritten Reich, die Diskriminierung homosexueller Lebensentwürfe durch den Staat wie auch rassistische Diskurse in der queeren Community selbst. Ausführlich zu Wort kommen Repräsentanten der frühen Homobewegung der 1970er Jahre wie Herbert Rusche, Rosa von Praunheim und Gottfried Ensslin, die die Schwulenbewegung durchaus als kritische linke Bewegung verstanden wissen wollten und im Rückblick ein eher zwiespältiges Resümee ziehen. Eine erschöpfende systematische Abhandlung des Themas Rechte und Homosexualität kann und will das Buch nicht sein- wohl aber ein vielfältiges Lesebuch, eine Anregung zum Nachdenken, Diskutieren und Weiterlesen. Schwulsein allein-das stellt Bernhard überzeugend heraus- ist kein Programm, erst recht kein linkes. Auch sein Appell an linke Schwule und Lesben, eine Solidarität aufzukündigen, die sich einzig an sexuellen Vorlieben festmacht, ohne auf politische Positionen zu sehen, verdient Unterstützung.

Soweit wäre ihm uneingeschränkt zuzustimmen, wäre da nicht das Fazit, das er im Nachwort zieht und für das er sich ausgerechnet ein Zitat Jürgen Elsässers als Stichwort wählt. Der hatte in der jungen Welt vom 9.11. 2006 geschrieben: „Mit Staatsknete wird Multikulti, Gendermainstreaming und die schwule Subkultur gefördert, während die Proleten auf Hartz IV gesetzt werden (…)“. Diese Gegenüberstellung hatte in weiten Teilen der Linken Empörung hervorgerufen. Markus Bernhardt sieht in Elsässers Äußerungen dagegen „die Rückkehr des Klassenkampfgedankens“ und nutzt die Gelegenheit, Kritikern Elsässers zu bescheinigen, sie seien „im vorherrschenden System endgültig angekommen oder setz(en) den eigenen Verstand vollends aus.“ Das ist nun nicht nur ein mehr als fragwürdiger Stil im innerlinken Diskurs, sondern auch inhaltlich starker Tobak: Ausdruck der Klassenherrschaft sind hier offensichtlich nicht so sehr die Profite der Konzerne, sondern die (im übrigen nicht gerade üppigen) Fördergelder für schwule Projekte und „Multikulti“ (was immer das sein mag). Nicht, dass Kritik an städtischer Förderpolitik schwuler Projekte nicht statthaft und der Kampf gegen soziale Entrechtung nicht notwendig sei. Wer aber einen Kausalzusammenhang nahe legt zwischen Hartz IV und Zuschüssen für schwule Projekte, lenkt den berechtigten Zorn ab von den Organisatoren und Profiteuren der Ausbeutung und muss sich den Vorwurf gefallen lassen, niederste Instinkte zu bedienen.

Das Nachwort präsentiert eine Schlussfolgerung, die geeignet ist, einem die richtigen und wichtigen Denkanstöße, die das Bernhardt gibt, in einem eher trüben Licht erscheinen zu lassen. Zu wünschen wäre dem Buch dennoch, dass es insbesondere zu Diskussionen in der schwul-lesbischen Szene über den Umgang mit rechten Einstellungen führt, vor denen diese Subkultur keineswegs per definitionem gefeit ist.