Sensibles Gedenken?

geschrieben von Hans Canjé

5. September 2013

Notizen von einem Geschichtsseminar der Friedrich-Ebert-Stiftung in
Oranienburg

Juli-Aug. 2007

Das faschistische Konzentrationslager Sachsenhausen, war, wie der Historiker Hermann Kaienburg in seiner jüngsten Veröffentlichung nachweist, „ein Organisationszentrum, in dem sich die verschiedenen Gewaltpotentiale wirkungsvoll miteinander verbinden ließen“. Hier wurden u.a. SS-Totenkopfverbände auf ihren Einsatz in den überfallenen Ländern des Ostens vorbereitet. Hier sind in den Jahren von 1937 bis 1945 etwa 200. 000 Häftlinge aus annähernd 45 Nationen eingesperrt, gedemütigt, gefoltert und für die Rüstungsindustrie ausgebeutet worden. 30-35 000 Häftlinge haben das Lager und seine rund 100 Außenlager und – Kommandos nicht überlebt. Den systematischen Mordaktionen der SS fielen über 15 000 sowjetische Kriegsgefangene zum Opfer. Anfang August 1941 wurden bei einer Massenexekution etwa 13 000 von ihnen ermordet.

„Geschichte im Dissens – Die Auseinandersetzungen um die Gedenkstätte Sachsenhausen nach dem Ende der DDR“ ist der Titel einer umfangreichen Studie aus dem Leipziger Universitätsverlag. Der hier abgehandelte Dissens besteht in der historischen Einordnung des faschistischen Konzentrationslagers Sachsenhausen (1937-1945) und des nach der Befreiung auf diesem Gelände installierte sowjetischen Internierungs- resp. „Speziallager Nr.7/Nr.1“ (1945-1950). Der Dissens hält an, auch wenn sich Historiker auf die These geeinigt haben, das eine Lager dürfe durch das andere „weder relativiert noch bagatellisiert werden“. Der skandalöse Auftritt des Brandenburgischen Innenministers Jörg Schönbohm anlässlich der diesjährigen Befreiungsfeier am 23. April hat diesen Dissens anschaulich gemacht. Demonstrativ hatte er an der Hinrichtungsstätte und dem Standort des Krematoriums, der „Station Z“, unter Protest der ehemaligen KZ-Häftlinge beide Lager auf eine Stufe gestellt, undifferenziert Opfer und Täter gleichgestellt.

Diese Nachkriegsgeschichte Sachsenhausens war Gegenstand eines Seminars, zu dem die Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam mit der Gedenkstätte Sachsenhausen vom 22.-23. Juni nach Oranienburg eingeladen hatte. Überschrift „Sensibles Gedenken – Die Geschichte des sowjetischen Speziallagers Sachsenhausen an einem Ort mit zweifacher Vergangenheit“. „Zweifache Geschichte“, das ist der vor allem bei den Opfern des Faschismus mit großem Vorbehalt aufgenommene gemeinsame Nenner unter dem Historiker die Geschichte Sachenhausens, dieses sensiblen Ortes vor und nach 1945, zusammenfassen.

Bis heute, so war in der Einladung zu lesen, „haben emotionale Abwehr, einseitige Wahrnehmung, Instrumentalisierung sowie weltanschauliche Voreingenommenheit den Blick auf die Lagergeschichte verstellt.“ Hier wären meiner Meinung nach zu nennen: Die Instrumentalisierung der“zweiten Vergangenheit“ als „rotes KZ“ in den Jahren des Kalten Krieges als Beispiel für die Richtigkeit der Totalitarismusdoktrin „Rot ist gleich Braun“. Außerdem die Fortsetzung dieser Instrumentalisierung nach der „Wende“, um die DDR über die Diskriminierung des Antifaschismus als totalitäres Regime zu delegitimieren.

Genau diese Vorgehen hat bei einstigen Häftlingen des faschistischen Lagers Bedenken ausgelöst wegen der damit verbundenen Relativierung der faschistischen Barbarei. Bedenken, die bis in unsere Tage nicht beseitigt sind. Einem „sensiblen Gedenken“ an unschuldige Insassen des Speziallagers wollen sich die überlebenden KZ-Häftlinge nicht verweigern. Sensibles Gedenken aber heißt zu differenzieren zwischen Unschuldigen und den Häftlingen, die z.B. als KZ-Schergen Blutschuld auf sich geladen haben. Heißt auch anzuerkennen, dass vor dem Speziallager das KZ als Mord- und Terrorstätte des faschistischen Regimes stand.

Zum Seminar waren drei einstige Häftlinge des Speziallagers als Zeitzeugen geladen, die als Jugendliche von den sowjetischen Behörden festgenommen und in Sachsenhausen inhaftiert worden. Dazu kamen Angehörige ehemaliger Häftlinge, Lehrerinnen und an Zeitgeschichte Interessierte, die erfahren wollten, wie es dann wirklich war mit diesem Lager, wer dort zum Beispiel inhaftiert war. Dr. Ines Reich von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätte sprach dazu auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstandes und der Erschließung neuer deutscher und russischer Quellen in ihrem hochinformativen und sachlichen Eröffnungsvortrag. Da ist vieles noch unerforscht. „Wir wissen immer noch nicht endgültig, wer im Speziallager war.“ Das betrifft den Komplex der wegen ihrer NS-Vergangenheit Inhaftierten, den aus politischen Gründen immer wieder (bis heute noch) zu hoch angegebenen Anteil jugendlicher Häftlinge oder von Mitgliedern der SPD. Ein „Vernichtungslager“ war das Speziallager nicht. Für diese immer wieder zu hörende Behauptung gibt es keinerlei Beweise. Die Zahl von 60 000 Häftlingen von Mai 1945 bis zum Frühjahr 1950 dürfte, wie die Zahl von 12 000 Todesfällen der Realität nahe kommen. Die Häftlinge sind mehrheitlich nach der Herabsetzung der Lebensmittelrationen 1946/47 und daraus resultierenden Krankheiten gestorben. „Es ist niemand gefoltert, erhängt oder erschossen worden“, bestätigt Horst Jänischen, der als 15jähriger verhaftet und bis Juli 1948 in Sachsenhausen inhaftiert worden war.

Gedenkstättenleiter Morsch rief die gern verdrängte Tatsache in Erinnerung, dass zu der Zeit, als im Westen die „Roten KZ“ „hochgejubelt“ wurden, die NS-Opfer dort diskriminiert wurden, um ihre Entschädigung zu kämpfen hatten. In seinen Thesen zur „Zukunft der Erinnerungskultur“ unterstrich er: „Das Gedächtnis an das KZ und das Speziallager muß getrennt bleiben“.