Skandalöse Haltung

geschrieben von Die Fragen stellte Regina Girod

5. September 2013

antifa-Gespräch mit Ulrich Sander über NS-Verbrechen und die
Bundesregierung

Jan.-Feb. 2009

Ulrich Sander ist Bundessprecher der VVN-BdA und Landessprecher der VVN-BdA Nordrhein-Westfalen.

antifa: Am 2. Dezember sollte in Nürnberg der Prozess stattfinden, den der Kameradenkreis der Gebirgsjäger gegen Dich -und damit auch gegen die VVN-BdA- angestrengt hatte. Deren Widerrufsklage wurde vor dem Termin zurückgezogen. Wie kam dieser Erfolg zustande?

Ulrich Sander: Ich hatte im Vorfeld öffentlich erklärt, dass ich mit dem Begriff »NS-Gebirgstruppe« Einheiten der Nazi-Wehrmacht gemeint habe, also die Gebirgsjägerdivisionen aus der Zeit bis 1945, und dass aus deren Reihen heraus im Jahr 1952 der Kameradenkreis gegründet wurde. Ich stellte weiter fest, dass der Begriff »größtes Kriegsverbrechertreffen« nicht auf die Mehrheit der Teilnehmer in Mittenwald beim Treffen auf dem Hohen Brendten bezogen war. Dass wäre ja schon vom Alter der Teilnehmer her Unsinn. Fakt bleibe aber, dass an den Treffen in Mittenwald regelmäßig Kriegsverbrecher und Veteranen der NS-Gebirgstruppe teilnehmen, also Personen, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren, unabhängig davon, ob sie für diese Taten je verurteilt wurden oder nicht. Ich habe also klargestellt, was sprachlich missdeutbar war, ohne inhaltlich von meinen Aussagen Abstand zu nehmen. Trotzdem hat der Kameradenkreis klein beigegeben und die Widerrufsklage zurückgezogen. Das war natürlich ein Erfolg.

antifa: Ist das Verfahren damit endgültig erledigt?

Ulrich Sander: Nicht ganz. Der Kameradenkreis wollte, dass wir die Kosten des Verfahrens übernehmen, er aso sagen konnte, er habe Recht behalten. Das Gericht will nun die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte den Gebirgsjägern und uns auferlegen. Damit sind wir nicht einverstanden. Das sollen die allein bezahlen.

antifa: Apropos Kosten. Es gab ja einen Spendenaufruf in dieser Sache. Wieviel Geld ist da eingegangen und ist noch etwas übrig?

Ulrich Sander: Der Vorschlag für die Spendenaktion kam von Rolf Becker, es sind daraufhin tatsächlich sehr viele Einzelspenden eingegangen, insgesamt rund 4000 Euro. Die Solidarität so vieler Menschen hat mich sehr berührt. Ich möchte an dieser Stelle allen Spenderinnen und Spendern herzlich danken. Bisher haben wir etwa 1500 Euro ausgegeben. Wenn es nicht noch zu weiteren Kosten kommt, bleiben also rund 2500 Euro übrig. Wir denken, dass es im Sinne aller ist, mit dem Geld die Solidaritätsbewegung für die Opfern zu unterstützen und Aufklärung über die völkischen Militaristen zu betreiben, die noch immer in der Bundeswehr geduldet werden.

antifa: Wird es denn auch in diesem Jahr wieder ein Gebirgsjägertreffen in Mittenwald geben?

Ulrich Sander: Ja, im Mai, so wie jedes Jahr. Es gibt Überlegungen, unter dem Motto: »Bestrafung der Täter – Entschädigung der Opfer« noch einmal griechische und italienische Opfer zu einer großen Gegenveranstaltung einzuladen. Gerade jetzt, wo die deutsche Regierung mit Hilfe der italienischen vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag eine Klage gegen die von höchsten italienischen Gerichten verhängten Entschädigungszahlungen für die Opfer eingereicht hat, mit ausdrücklicher Unterstützung der deutschen Kanzlerin und des italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi. Die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage ist einfach skandalös. Sie besteht nicht nur darauf, die Opfer weiter leer ausgehen zu lassen, sie schützt auch, wie alle Regierungen vor ihr, die Täter vor Bestrafung. Trotz aller europäischen Rechtshilfeabkommen werden die in Italien rechtskräftig verurteilten Kriegsverbrecher einfach nicht ausgeliefert. Die Bundesrepublik behandelt italienische Gerichte in dieser Frage wie Einrichtungen einer Bananenrepublik. Ein einziger von Hunderten noch lebenden schwerbelasteten Gebirgsjägern, Wehrmachts- und SS-Soldaten steht derzeit in München vor Gericht. Eben dieser Sepp Scheungraber aus Ottobrunn bei München wurde in Italien bereits zu lebenslänglich verurteilt. Man hätte ihn längst ausliefern können, so wie andere auch.