So war unser Exil

geschrieben von Steffi Wittenberg

5. September 2013

Erinnerungen an Kurt Wittenberg und sein antifaschistisches Engagement

Juli-Aug. 2012

Mit Kurt Wittenberg, geboren am 9. Juli 1920 in Würzburg, ist am 4. Januar 2012 nach einem kämpferischen Leben, das ihn nach Süd- und Nordamerika geführt hat, einer der letzten deutschen Antifaschisten, die in Uruguay Exil gefunden haben, gestorben. Kurt war dort bis 1947 Sekretär des Deutschen Antifaschistischen Komitees, das der Bewegung Freies Deutschland in Mexiko angeschlossen war. Wir haben seine Frau Steffi gebeten, uns einige ihrer Erinnerungen an das Exil in Uruguay, das Komitee – und natürlich an Kurt Wittenberg – aufzuschreiben.

Ende 1938 gelang es Kurt Wittenberg mit seinen Eltern Thekla und Henry Wittenberg in das südamerikanische Land Uruguay zu emigrieren und dem Naziregime zu entkommen. Ein jüdischer Hilfsfonds hatte die Visa und die Überfahrt bezahlt. Kurts Schwester Ruth war ein Jahr früher mit einem Kindertransport in die USA geschickt worden.

In Montevideo konnte Kurt als Maurer schnell eine Arbeit finden, wenn er auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, wie z.B. mit der spanischen Sprache. Oft hat er später davon erzählt, wie er einmal eine Wand zumauerte, für die ein Fenster vorgesehen war. Daher musste Kurt anfangs verschiedene Male seinen Arbeitsplatz wechseln bis er als »Capataz« (Polier) bei dem Bauunternehmen Isola & Armas arbeitete. Allerdings streikten die Maurer in der Zwischenzeit mehrere Male; in der Zeit arbeitete Kurt als mobiler Eisverkäufer, um nicht ohne Mittel dazustehen.

Die Eltern hatten es schwerer. Der Vater versuchte es mit dem Verkauf von Schusterzubehör, die Mutter ging Putzen und unterhielt nebenbei einen Mittagstisch. Später arbeitete sie an einem Verkaufsstand in einer Montevideaner Markthalle. Es fanden während der Nazizeit im Verhältnis zu den damals etwas über zwei Millionen uruguayischen Einwohnern doch zahlreiche deutsche und österreichische Juden Zuflucht in Uruguay. Andererseits verkündeten die uruguayischen Behörden Ende 1938 eine Einreisesperre, die damit begründet wurde, dass ihre Konsulate in Hamburg und Berlin Bestechungsgelder entgegengenommen hätten.

Dadurch bin ich, damalige Steffi Hammerschlag und Kurts spätere Ehefrau, mit meiner Mutter Ende 1938 an unserer geplanten Ausreise von Hamburg nach Uruguay gehindert worden und mein Vater, der im Oktober 1938 mit meinem Bruder Gerd schon nach Uruguay eingereist war, musste ein Jahr lang kämpfen, um wieder ein gültiges Visum für Frau und Tochter zu erhalten. Ende 1939 war er durch die finanzielle Hilfe eines jüdischen Emigranten erfolgreich und meine Mutter und ich kamen Ende Januar 1940 in Uruguay an.

Für Kurt war Uruguay eine politische Lehre; durch seine Kollegen lernte er die Gewerkschaftsarbeit kennen, die in Uruguay – speziell der Hauptstadt Montevideo – sehr ausgeprägt war. Kurt wurde Mitglied in der Baugewerkschaft und hatte Kontakt mit der Uruguayischen Kommunistischen Jugend. Er beteiligte sich noch im Jahre 1939 an der Solidaritätsbewegung mit den Republikanern im Kampf gegen die Faschisten im Spanischen Bürgerkrieg.

Danach bekam Kurt Kontakt mit dem Freien Deutschen Club, der den Kampf gegen Hitler unterstützte. Der aber zerstritt sich wegen des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes. Die kommunistischen Sympathisanten, zu denen Kurt gehörte, meinten, der Pakt würde einen unausweichlichen Krieg gegen Nazideutschland hinauszögern. Die sozialdemokratische Richtung sah darin ein inakzeptables Arrangement mit Nazideutschland. Kurt und die verbliebenen Genossen des Deutschen Clubs gründeten nach dem Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion das Deutsche Antifaschistische Komitee. Dessen Präsident war Willi Eckermann, Kurt wurde Sekretär.

Es wurden Benefiz-Veranstaltungen zum Geldsammeln zur Unterstützung der Sowjetunion organisiert. Einige weibliche Mitglieder des Komitees strickten Wollstrümpfe für die Rotarmisten. Die Übergabe erfolgte teilweise über das Internationale Rote Kreuz. Später kamen auch sowjetische Schiffe nach Montevideo und die Hilfsaktionen bekamen großen Beifall.

Kurt erwähnte später, er sei auch bei der Familie Hammerschlag gewesen, um Geld zu sammeln, und da sei ein junges Mädchen gekommen und hätte gesagt: »Wir geben nichts«. Das sei Steffi Hammerschlag, seine spätere Frau gewesen, die Schreiberin dieses Berichtes.

Das Komitee setzte sich zusammen aus aktiven antifaschistischen Juden und nichtjüdischen Deutschen, die Nazideutschland vertrieben hatte. Auch der Schriftsteller Balder Olden unterstützte das Komitee. Ein Kontakt mit den sehr viel früher eingewanderten Deutschen, den sogenannten Altdeutschen, misslang; sie sympathisierten zum größten Teil mit Hitler-Deutschland.

Informationen aus dem unter dem Nazijoch leidenden Europa flossen verhältnismäßig reichlich. Die uruguayischen Zeitungen veröffentlichten die Informationen der englischen und US-amerikanischen Presseagenturen, auch aus der Sowjetunion. Ebenso sahen wir die englischen und US-amerikanischen Wochenschauen über die Kämpfe der Alliierten. Außerdem gab es das »Argentinische Tagesblatt« in deutscher Sprache, das sehr informativ war und seine Anti-Hitler-Haltung trotz Anfeindungen von nazi-deutscher Seite nicht aufgab. Es gab auch jahrzehntelang eine deutsche Radiostunde in einem uruguayischen Sender unter Leitung des deutschen Emigranten Hermann P.Gebhardt, »La voz del día« (die Stimme des Tages).

Das deutsche Antifaschistische Komitee hatte sich der Bewegung Freies Deutschland aus Mexiko angeschlossen. Diese Bewegung war früher als das Komitee Freies Deutschland in Moskau gegründet worden. Der Schriftsteller Ludwig Renn war der Präsident des mexikanischen Komitees und Paul Merker Sekretär. Beachtlich viele deutsche und österreichische Schriftsteller und Publizisten, die mehrheitlich nach ihrem französischen Exil nach Mexiko kamen, haben fortlaufend zum Kampf gegen den verbrecherischen Krieg, gegen die Folter und eindringlich gegen die Morde in den Konzentrationslagern aufgerufen und um Hilfe für die Naziopfer gebeten. Paul Merker hat speziell den Massenmord an den Juden hervorgehoben und das Ausland aufgefordert, nicht nur schriftlich zu protestieren, sondern aktiv einzugreifen.

Ich habe Kurt kennengelernt, als ich der Jugendgruppe des Deutschen Antifaschistischen Komitees beitrat und an den angebotenen Kursen teilnahm: deutsche Literatur, auch ein Kursus über Marxismus, und Musik. Wir hatten einen Chor und sangen deutsche Lieder. Wir Jüngeren hatten zumeist eine abgebrochene deutsche Schulbildung.

Als Deutschland besiegt wurde, gab es eindrucksvolle Feiern und Demonstrationen in Montevideo mit über 100.000 Menschen. Am 25. August 1944, zur Befreiung von Paris, strömten die Montevideaner in ihr Zentrum der Stadt, und am 3.Mai 1945 bei der Befreiung von Berlin und am 8. Mai 1945, am Tage der Kapitulation Nazi-Deutschlands, gab es große Demonstrationen und Kundgebungen in der Innenstadt, an der auch der damalige Präsident Uruguays teilnahm.

Zur Wiedervereinigung mit Kurts Schwester Ruth flog die Familie Anfang 1947 nach Houston, Texas, wo Kurt von der Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung schockiert war. Ich folgte Kurt ein Jahr später und wir heirateten. Infolge der antikommunistischen McCarthy Hetzjagd kehrten wir im Jahre 1951 zurück in die Bundesrepublik nach Hamburg, meine Heimatstadt. Kurt wurde hier sehr aktiv in der VVN, war zeitweilig 2.Vorsitzender der Hamburger Verfolgten-Organisation. Er war auch häufig Referent in der »Geschwister Scholl Jugend«, erzählte den Jugendlichen aus Verfolgten-Familien viel über seine Jugend- Erfahrungen in Nazideutschland und im Exil und setzte sich auch mit der damaligen Politik in der Bundesrepublik auseinander. Er war ab den 80er-Jahren auch als Zeitzeuge in Schulen.

Deshalb traf es auch den jahrzehntelang für eine bessere Welt kämpfenden Kurt sehr hart, als wir von den Verfolgungen und Morden erfahren haben, die unsere eigenen Genossen an Genossen oder Sympathisanten begangen hatten. Paul Merker, der ehemalige Sekretär des mexikanischen Komitees Freies Deutschland und später Mitglied des Zentralkomitees der SED, wurde in der DDR in den fünfziger Jahren verhaftet und für fast 5 Jahre eingesperrt. Andre Simone, Geburtsname Leo Katz, wurde in der Tschechoslowakei im Slansky-Prozess verhaftet und hingerichtet. Bei seinem Prozess war er ein ausgezehrter, gebrochener Mann, der sich »schuldig« bekannte … Später fand man eine Eintragung von ihm, dass er unschuldig sei und keines der ihn angelasteten Verbrechen begangen habe. Aber das sind hier nur zwei Beispiele, es gibt tausende mehr. Kurt hat diese Verbrechen nie verwunden.

Kennzeichnend für seine Haltung ist vielleicht ein Satz aus seiner Rede im Ehrenhain der Widerstandskämpfer auf dem Ohlsdorfer Friedhof am 11.9.1994, also am zweiten Sonntag im September, an dem wir Jahr für Jahr der Opfer des Faschismus gedenken: »Wir erinnern hier an die durch die Faschisten Verfolgten und Getöteten, aber in unserem heutigen Gedenken haben wir auch die einzuschließen, die im Exil aber auch nach der Befreiung Opfer von Verleumdungen und Verfolgungen durch die eigenen Reihen geworden sind«.