Suche nach NS-Verbrechern

geschrieben von Forschungsstelle Nachkriegsjustiz

5. September 2013

Im Visier: Österreichische Täter im Konzentrationslager
Majdanek

Mai-Juni 2009

Eine in den 1960er und 1970er Jahren in Graz durchgeführte gerichtliche Untersuchung gegen eine große Anzahl österreichischer Beschuldigter wegen Verbrechen im KZ Majdanek führte zu keiner Anklageerhebung.

In Fragen der juristischen Aufarbeitung von NS-Verfahren spielte die damalige österreichische Justizministerin Maria Berger eine positive Rolle. Auch die 2007 ausgesetzte Ergreiferprämie auf sachdienliche Hinweise zu den NS-Verbrechern Alois Brunner und Aribert Heim fällt in den Zeitraum ihrer Zuständigkeit.

Die österreichischen Volksgerichte

Aus der negativen Beurteilung sind die antifaschistischen, so genannten österreichischen »Volksgerichte« auszunehmen: Von 1945 bis 1955 ermöglichten es Sondergesetze, ca. 13.000 Personen für ihre Taten während der NS-Herrschaft zu verurteilen. Für die unmittelbare Nachkriegszeit ist somit ein klarer Ahndungswille feststellbar.

Die zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz ersucht um Unterstützung bei der Erforschung faschistischer Verbrechen. Österreich sei ein Paradies für NS-Verbrecher, ließ Efraim Zuroff, Leiter des Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Zentrums zuletzt 2008 auf einer Pressekonferenz in Wien verlauten. Angesichts der skandalösen Bilanz der seit 1955 geführten Prozesse gegen nationalsozialistische Täter und Täterinnen lässt sich diese Aussage kaum von der Hand weisen. Jahrzehntelang kämpfte die VVN-BdA in Deutschland gegen die Schlussstrichmentalität an, die es so vielen NS-Tätern ermöglichte, in Frieden zu sterben, ohne für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen worden zu sein. Führt man sich vor diesem Hintergrund vor Augen, dass in der österreichischen Literatur zur justiziellen Ahndung von NS-Verbrechen das deutsche Vorgehen immer wieder als Beispiel für eine bessere Praxis genannt wird, so kann man sich ein ungefähres Bild vom Ahndungswillen in der Alpenrepublik machen.

Der sich hartnäckig haltende Mythos von »Österreich als erstem Opfer Hitlers« kann als symptomatisch für die langjährige Weigerung der österreichischen Mehrheitsbevölkerung gesehen werden, die Notwendigkeit einer juristischen Aufarbeitung der Beteiligung von Österreichern und Österreicherinnen an NS-Verbrechen zu akzeptieren. Auch die Tatsache, dass es in Österreich keine mit der in Ludwigsburg vergleichbare zentrale Stelle zur juristischen Aufarbeitung gegeben hat, trägt ihren Teil zur traurigen Bilanz bei.

In jüngster Zeit führte die (Wieder-)Entdeckung der ehemaligen Aufseherin der Konzentrationslager Ravensbrück und Majdanek, Erna Wallisch, in Wien dazu, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit für kurze Zeit erneut diesem dunklen Erbe zuwandte. Neben Auschwitz und Mauthausen ist Majdanek eines jener Konzentrationslager, in dem Österreicher einen relevanten Teil der Wachmannschaft ausmachten. Anders als im Fall der beiden erstgenannten KZs wurde in Österreich jedoch kein Verfahren angestrengt, das sich mit dem Tatkomplex Majdanek als Ganzes beschäftigte. Dieser Mangel wird besonders am Beispiel von Erna Wallisch deutlich, gegen die es trotz mehrerer Verfahren niemals zu einem Gerichtsurteil kam.

Im Zuge der im Jahr 2007 aufgenommenen Ermittlungen gegen Wallisch erteilte das Bundesministerium für Justiz der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz den Auftrag, eine eventuell noch mögliche strafgerichtliche Verfolgbarkeit von NS-Verbrechen im KZ Majdanek vom Standpunkt der historischen Forschung einzuschätzen. Die Forschungsstelle Nachkriegsjustiz besteht seit 1998 und ist im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes in Wien ansässig. Ihre Aufgabe sieht die Forschungsstelle in der wissenschaftlichen Dokumentation und Analyse der juristischen Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Darüber hinaus soll das gesellschaftliche Bewusstsein über die NS-Verbrechen und die Konsequenzen sowohl ihrer Aufarbeitung als auch der allzu oft unterbliebenen Ahndung gestärkt werden.

In dem Projekt »Der Komplex Lublin-Majdanek und die österreichische Justiz« kann die Forschungsstelle auf Prozessakten aus Österreich, Deutschland und Polen sowie eine Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten zurückgreifen. Darüber hinaus ersucht die Forschungsstelle Nachkriegsjustiz um Unterstützung bei der Erforschung der in Majdanek verübten Verbrechen. Gesucht werden sowohl Hinweise auf von Österreichern und Österreicherinnen verübte Verbrechen bzw. Informationen über ehemaliges österreichisches Wachpersonal im KZ Majdanek, als auch Kontakte mit Überlebenden oder Material, das bei der Erforschung hilfreich sein kann. Gerade antifa-Leserinnen und -Leser könnten hier wichtige Hinweise geben.