Terror gegen Zivilisten

geschrieben von Raimund Gaebelein

5. September 2013

Internationales Kolloquium über faschistische Massaker im 2.
Weltkrieg

Jan.-Feb. 2011

Nach einer Begrüßung durch den Hausherrn, Graf t’Kint de Roodenbeke, führte Prof. Dr. John Carman von der Universität Birmingham aus, dass es notwendig sei, Gewalt gegen Zivilisten nicht nur im Kontext des Zweiten Weltkriegs zu betrachten, sondern als europäisches Phänomen zu begreifen, das über Jahrhunderte vielerorts stattfand. Zur Überwindung von Vorurteilen sei es geradezu notwendig in Richtung eines europäischen Bürgerbewusstseins zu denken.

Am 21. Oktober fand auf Schloss Ooidonk in Belgien ein Colloquium statt, bei dem es um Gedenkformen für zukünftige Generationen ging. Organisiert vom Ename Zentrum für Heimatforschung, der Stadt Deinze und der Provinz Ostflandern stand im Mittelpunkt die Bearbeitung des Themas Gewalt gegen die Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg. Raf Debaene von der Vereinigung Vinkt Mai 1940 schilderte die lokalen Ereignisse in der Umgebung der Stadt Deinze kurz vor und nach der Kapitulation der belgischen Armee. Die Wehrmacht schrieb den heftigen Widerstand Ardenner Jäger Freischärlern der Gemeinden Vinkt und Meigem zu und erschoss am Tag nach der Kapitulation 80 Einwohner, darunter zahlreiche Flüchtlinge aus den großen Städten. Die Vereinigung Vinkt Mai 1940 plant die Errichtung eines Erinnerungszentrums, in dem auch Raum sein soll für eine Reflexion jüngerer Gewalterfahrungen, wie Afghanistan, Irak, Jugoslawien, Kongo.

Den Überfall der Fallschirm-Panzer-Division Hermann Göring am 1. Oktober 1944 auf Putten schilderte Evert de Graaf von der Stiftung Oktober 44. Über Amersfoort wurden 600 Männer nach Neuengamme gebracht, nur 48 kehrten von dort zurück. Die 1982 gegründete Stiftung hält Kontakt zu allen Märtyrerorten in Europa und sucht den Kontakt zu allen Einrichtungen und Privatpersonen, die in Beziehung zu den Deportierten von Putten stehen. Regelmäßig fahren 30 bis 50 Angehörige nach Neuengamme, Ladelund und Wöbbelin. Simone Caponera und Simone Tonini schilderten die Erinnerungsarbeit in Sant’Anna di Stazzema. Am 12. August 1944 wurde das Tal in den Apenninen von der 16. SS-Division umstellt, mehrere Dörfer abgebrannt, hunderte Einwohner und Flüchtlinge gnadenlos umgebracht. Seit Ende 2000 gibt es einen nationalen Friedenspark mit historischem Widerstandsmuseum, Kreuzweg und Denkmal. Es bestehen Verbindungen zu einer ganzen Reihe von deutschen Einrichtungen und Jugendgruppen. Verstärkt werden Zugangswege für künftige Generationen erprobt. Pascal Plas stellte das Erinnerungszentrum von Oradour vor. Am 10. Juni 1944 hatte die Waffen-SS-Division Das Reich dort 642 Menschen ermordet. Die SS bediente sich der selben Methoden wie an der Ostfront. Männer wurden in geschlossenen Räumen hingerichtet, Frauen und Kinder verbrannten in der Kirche. 1997 wurde der Grundstein für ein Erinnerungszentrum und die Dauerausstellung gelegt. Neben der Erinnerung an die tragischen Ereignisse wird Wert darauf gelegt, Hintergründe, Ursachen, Parallelen offenzulegen. Aktuell gehen Überlegungen in die Richtung, verstärkt über Menschenrechte, Gemeinschaftsdenken und bürgerliche Freiheiten nachzudenken. Miroslaw Nizio trug seine Idee für ein Museum in Michniów vor, eine Reihung zusammenhängender Erinnerungsräume, die brennende Hütten darstellen. Multimediainstallationen führen den Besucher zu Zeugnissen Überlebender der Ereignisse vom Juli 1943. Ein weiteres Erinnerungszentrum plant der Architekt auf dem Gelände des ehemaligen KZ Groß-Rosen. Interesse fanden auch unsere Ausführungen zu zivilen deutschen Opfern der NS-Diktatur und Kriegsverbrechen. Ausgehend vom Urteil im Nürnberger Prozess wurden die Verfolgung von Kommunisten und anderen Oppositionellen seit 1933 dargestellt, die Zwangssterilisation von Sinti und Roma und anderen Gruppen, die Nürnberger Gesetze, die Reichspogromnacht und die Politik der Vernichtung von Juden und Slawen, die Verfolgung und Aburteilung der bürgerlichen und Arbeiteropposition, die Mordmaschinerie zu Kriegsende und die Todesmärsche, die unterschiedliche Politik des Gedenkens in West und Ost beleuchtet.

Sehr eindrucksvoll war die Rundführung durch die Plätze des Geschehens vom 25./28. Mai 1940 am zweiten Tag. In der St.Pieters-Kirche schilderte Bürgermeister Jacques de Ruyck, dass der Ort nur ein Symbol für gleichartige Massaker an zahlreichen anderen Orten darstellt. Ein Grund mehr, sich gemeinsam mit anderen im Verein der Bürgermeister für den Frieden und im Rahmen der Charta gegen sinnlose Gewalt zu engagieren. Im Anschluss brachten die Besucher Kerzen zu dem Ort, an dem 1940 ein großer Teil der Bewohner Vinkts erschossen wurde. Mit bedrückter Stimme las der Sohn eines deutschen Soldaten Auszüge aus einem Feldpostbrief seines Vaters, den dieser als Offizier nach dem Massaker vom Mai 1940 geschrieben hatte. Der Sohn sprach die Hoffnung aus, dass die Erinnerung an diese Tragödie bewahrt bleibt.