Todesstrafe zwingend

geschrieben von Susanne Willems

5. September 2013

Das Buch zur Aufhebung der Kriegsverratsurteile der
Nazi-Militärjustiz

Juli-Aug. 2009

Wolfram Wette, Detlef Vogel, »Das letzte Tabu. NS-Militärjustiz und Kriegsverrat«

Aufbau Verlag 2007, ISBN-10: 3351026544, 24,95 Euro

Das Buch entstand mit finanzieller Unterstützung der Bremer Stiftung »die schwelle. Beiträge zur Friedensarbeit« und der Hans-Böckler-Stiftung

Das 1965er Credo der Nazi-Militärrichter hat Norbert Haase 1993 im Begleitband zur Berliner Ausstellung der Gedenkstätte deutscher Widerstand zum Reichskriegsgericht dokumentiert: »Wer die Deutsche Wehrmacht verunglimpft, […] greift einen der Hauptpfeiler der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung an. Denn die Bundeswehr ruht auf der Deutschen Wehrmacht, was schon darin zum Ausdruck kommt, dass zahlreiche Offiziere der Bundeswehr aus der Deutschen Wehrmacht hervorgegangen und dass sie in deren Geist geformt sind. Verunglimpfende Angriffe müssen deshalb energisch zurückgewiesen und raschestmöglich strafrechtlicher Ahndung zugeführt werden.«

Die von Wolfram Wette und Detlef Vogel im Aufbau Verlag Berlin herausgegebene Dokumentation »Das letzte Tabu. NS-Militärjustiz und ›Kriegsverrat‹« basiert auf Stichproben in einem Teilbestand der 924 laufende Meter füllenden Feldgerichtsakten, auf früher publizierten Einzelfällen und auf der umfangreichen Microfiches-Edition des Münchner Instituts für Zeitgeschichte zu 6.000 vor dem Reichsgericht, dem Volksgerichtshof und dem Reichskriegsgericht verhandelten Hochverratsfällen. Der mit einem Quellen- und Literaturverzeichnis versehene und durch ein Personen- und Ortsregister erschlossene 512-Seiten-Band ist ein Kompendium des aktuellen Forschungsstands und die Dokumentation aller überlieferten 31 der bisher bekannten gewordenen 33 Verurteilungen des Reichskriegsgerichts wegen Kriegsverrats. Abgedruckt sind zudem Schriftstücke aus fünf Verfahren vor dem Volksgerichtshof und solche zu drei Feldgerichtsurteilen.

Einführend analysiert Wolfram Wette die juristische und politische Geschichte des »Kriegsverrat«-Delikts und die des jetzt, wie von Manfred Messerschmidt, dem Nestor der kritischen westdeutschen Militärgeschichtsschreibung und seit Jahrzehnten an der Seite von Ludwig Baumann Mitstreiter für die Anerkennung und Entschädigung aller Opfer des psychiatrischen und justiziellen Disziplinierungssystems der Wehrmacht, im Vorwort gewünscht, beschleunigt gereiften rechtspolitischen Lernprozesses, der alle Fraktionen im Bundestag jetzt zur gesetzlichen Aufhebung sämtlicher Kriegsverratsurteile bewegt hat. Von der westdeutschen Kontinuität der juristischen Verurteilung des Widerstands gegen Faschismus und Krieg handelt der Beitrag von Helmut Kramer, der Einblick in das von Adolf Grimme, einst preußischer Kultusminister und später Direktor des Nordwestdeutschen Rundfunks, Ende 1945 angestrengte Strafverfahren gegen den Ankläger der mit Schulze-Boysen und Harnack verbundenen Antifaschisten vor dem Reichskriegsgericht gibt.

Die Lüneburger Staatsanwaltschaft, aufgefordert wegen Rechtsbeugung und Verantwortlichkeit für 47 Justizmorde zu ermitteln, nutzte 1951 das Verfahren mit gutachterlichem Beistand von Nazi-Juristen und Ex-Gestapobeamten in 1190seitiger Einstellungsbegründung zur Rechtfertigung der Nazi-Blutjustiz und erneuten Diffamierung des gesamten antifaschistischen Widerstands. Und mehr: jede außenpolitische Verständigung mit der Sowjetunion führe zur »Bolschewisierung« Deutschlands, Wachsamkeit sei geboten: »Die ›Rote Kapelle‹ ist auch heute nicht tot.« Kramers Resumeé: »Im Rahmen des in der frühen Bundesrepublik gewissermaßen zur Staatsdoktrin gewordenen Antikommunismus wurde spiegelbildlich alles aufgewertet, was in der Geschichte den Kampf gegen den Kommunismus gefördert hatte.«

Die von Richarda Berthold und den Herausgebern sorgfältigst eingeführten und edierten Dokumente beweisen, dass der Kriegsverrats-Paragraph zwei für den von rechtsstaatlichen Mindeststandards unberührten Juristen praktikable Funktionen erfüllte: Wegen seiner Unbestimmtheit als Auffangparagraph zur Aburteilung jedweden unbotmäßigen oder widerständigen Verhaltens von Militärangehörigen im Krieg und als Justizmord-Paragraph wegen der zwingenden Todesstrafe. Wegen Kriegsverrats von Nazi-Richtern ums Leben gebracht wurden Menschen, die sich zum organisierten Widerstand zusammenfanden, die mit Menschen tatsächlich oder angeblich kommunistischer Überzeugung Kontakt hatten, die sich dem Krieg wenigstens zeitweise gedanklich verweigerten, die Juden Hilfe leisteten, mit Kriegsgefangenen ihre Hoffnung auf ein Ende von Krieg und Naziherrschaft teilten oder in Kontakt zu Partisanen traten. Die Dokumentation der – zumeist mit Hilfe von Denunzianten und Spitzeln – ermittelten Sachverhalte lässt erahnen, dass die einst in Kornelimünster und inzwischen im Militärarchiv in Freiburg lagernden Feldgerichtsakten mit den gescheiterten Versuchen, sich dem Morden und dem Krieg zu entziehen, eine Fülle von Zeugnissen vernünftigen Denkens damaliger Soldaten bereit halten. Mit der Aufhebung der Kriegsverratsurteile hat die in den 50er-Jahren aufgebaute Kameradschaftsfront der Nazi-Militärjuristen ihren Einfluss auf Wissenschaft und Politik unwiderruflich verloren. Deren Chefkommentator und Verfechter des Gesinnungsstrafrechts Erich Schwinge, bis zu seiner Emeritierung 1968 Marburger Universitätsprofessor, wir nannten ihn als Jurastudenten nur »Kopf-ab-Schwinge«, pflegte die Kritiker der Nazi-Blutjustiz in den 50er und 60er Jahren mit Prozessen zu überziehen. Genau dieses Wiegenlieds der Bundeswehr versucht sich heutzutage der verbliebene Kameradenkreis der Mittenwalder Gebirgsjäger von einst und jetzt zu entledigen, wiederum besorgt um den Ruf der weltweit intervenierend und in den Krieg hineingewachsenen Bundeswehr und mit denselben Methoden wie einst die Kameradschaft der Nazi-Militärrichter: ausnahmslos auf Kosten ihrer antifaschistischen und antimilitaristischen Kritiker.