Toleranz im Schwimmbad

geschrieben von Irene Runge

5. September 2013

Oder: was ein Burkini offenbart

März-April 2009

Nicht nur ein deutsches Problem. Bereits am 25. 2.2008 meldete die Süddeutsche Zeitung:

Das „Hansebad“ im niederländischen Zwolle verweigert muslimischen Frauen im sogenannten Burkini den Zutritt zu normalen Öffnungszeiten. Der Direktor des Schwimmbades wies darauf hin, dass es auf Wunsch einzelner Gruppen gesonderte Öffnungszeiten gebe – etwa für Menschen mit Migrationshintergrund, Übergewichtige, Parkinson-Kranke oder Nacktschwimmer. Die abge- wiesene Muslimin solle wie andere von diesen Sonderschwimmzeiten Gebrauch machen und eine Öffnungszeit für muslimische Frauen anfragen.

Auf eigenwillige Weise kleidsam verkleidend und fürs sportliche Schwimmen offenbar geeignet, ein solches Gewand nennt sich Burkini. Diese unerhörte Erfindung, die streng religiösen muslimischen Frauen das fast Unmögliche, nämlich das Baden in öffentlichen Schwimmanstalten ermöglichen soll, dieses Burkini also, ein Wortgebilde aus Burka und Bikini, könnte zum Sprungbrett werden. Eine junge muslimische Designerin aus Berlin hat es kreiert, und sie hätte vermutlich keine Absatzsorgen, würden die Männer der Bäderbetriebe allen Badewilligen ungeachtet ihrer Gewandung demokratisch das Schwimmrecht zubilligen.

Ein wenig erinnert die Robe aus wassergeeignetem Material an die fesch verhüllende Badekleidung der vorletzten Jahrhundertwende, durch Stummfilme, alte Fotos und romantisches Kino in der Erinnerung geblieben. Damals nutzten Frauen genierlich und kokett auch die ihnen zugewiesenen Badestege, manchmal führte der Schritt ins erfrischende Nass zusätzlich durch ein abgrenzendes Zelt. Aber selbst diese reich bebilderte Vergangenheit kann heutiger Leute Vorurteil nicht unbedingt schwächen. Ginge es nach ihnen, wäre verboten, was in Berlin der badebehördlichen Erlaubnis harrt, nämlich das Schwimmen der gesetzestreu verhüllten Frauen in öffentlichen Becken.

Im Fernsehen sahen sie zunächst komisch aus, als sie derart bekleidet ins Wasser stiegen. Aber warum sprachen spärlich bekleidete andere Frauen, noch wassertriefend, in das Mikrofon des Berliner Fernsehens von Irritation, Entsetzen, Empörung und Beschämung? Das ungewöhnliche Outfit der Geschlechtsgenossinnen schien ihnen Angst zu machen. Ich hingegen sah eher Eleganz und neidete den Verhüllten ihre Geschmeidigkeit, mit der sie vom Brett sprangen, die Schnelligkeit, mit der sie das Becken durchquerten, und die Herzlichkeit, mit der sie in ihren dichten bunten Gewändern miteinander plauderten.

Die Aufregung ist mir nicht nachvollziehbar. In Israel nahm mich eine Frau an den Badestrand der Religiösen mit. Natürlich an den für Frauen, der durch einen blickdichten, bis ins Meer hinein reichenden Zaun vom Männerstrand getrennt ist. Trotz unerträglicher Hitze und obgleich sie unter sich waren, trugen die Frauen mantelartige Überhänge und Kopfverhüllungen. Ich ging nicht ins Wasser, mein Bikini, so schien mir, könnte die Gefühle anderer verletzen. Nein, sagte meine Begleiterin, die nur mit den Füßen badete, ich wäre sichtbar keine von ihnen, daher würde meine befremdliche Badekleidung eher mit missbilligendem Schweigen toleriert werden.

So tolerant wird in Berlin nicht reagiert. Das Burkini, ob hell, dunkel, gestreift oder mit Blumendruck versehen, verärgerte nicht nur schwimmende Halbnackte, sondern emanzipierte religionsferne wie antireligiöse Frauen gleichermaßen. Sie alle trugen ihre moralischen, ästhetischen und ideologischen Einwände gegen solche Anblicke, auch hygienische Bedenken und geheuchelte Besorgnis vor, jene Kleidung könne das Schwimmen behindern, zudem würde eine solche Kleiderordnung den Frauen nur wegen ungezügelter Männertriebe aufgezwungen. Wobei die Meinung religiöser Frauen niemandem eine Erwähnung wert war.

Genaugenommen hat das wenig mit sich verhüllenden Frauen und mehr mit Vorurteilen zu tun. Genaugenommen schüren Ängste und Unsicherheiten gegenüber dem Islam, nicht selten als radikaler Islamismus verkannt, den Wunsch nach Ausgrenzungen. Warum gerade verhüllte Frauen die platten Vorurteile anheizen, weiß ich nicht. Diese irrationalen Klischees werden hoffentlich irgendwann an unserer Lebensvielfalt zerschellen.

Der Bundesverfassungsschutz scheint das Problem längst erkannt zu haben. Warum sonst würde er seit fast drei Jahren die Wanderausstellung »Die missbrauchte Religion – Islamisten in Deutschland« auf die Reise schicken, und darin die Vielfalt der Weltreligion Islam als mögliche Lebensweise und die Abkehr auf den schmalen finsteren Grat islamistischen Terrors in sechs Stationen anschaulich und ausführlich dokumentieren? Badende Frauen kommen hier nicht vor, aber die Aussage, dass 99 Prozent aller in Deutschland lebenden Muslime über den politischen Verdacht des Extremismus erhaben sind. Müsste eine solche Erkenntnis dem möglichen Badeverbot nicht von vornherein das Wasser abgraben?