Vergleich oder Gleichsetzung?

geschrieben von Janka Kluge

5. September 2013

Kritische Anmerkungen zu Timothy Snyders »Bloodlands«

März-April 2012

In der November/Dezember-Ausgabe der antifa hat Thomas Willms seine Sicht auf »Bloodlands« dargestellt. Dazu kam aus Baden-Württemberg der auf Seite 17 abgedruckte Leserbrief, über den im Bundesausschuss der VVN-BdA diskutiert wurde. Die Redaktion der antifa hat stets betont, dass kontroverse Themen im Blatt berhandelt werden sollten. Wir freuen uns, dass antifa-Redakteurin Janka Kluge ihre Auffassung zu »Bloodlands« ebenfalls niedergeschrieben hat und hoffen, damit weitere Leser-innen und Leser zur Lektüre des umstrittenen Werkes anzuregen.

Der amerikanische Historiker Timothy Snyder hat 2010 ein ausführliches Buch über die Geschichte Polens, Weißrusslands und der Ukraine zwischen 1932 und 1950 vorgelegt. Bereits im Titel »Bloodlands« beschreibt er seinen Ansatz einer Teritorialgeschichte. Für Snyder musste die Bevölkerung dieser Länder am meisten unter der Besetzung Hitler- Deutschlands und der Sowjetunion leiden. »In den Bloodlands lebten die meisten europäischen Juden. Hier überschnitten sich Hitlers und Stalins imperiale Pläne. (…) Stalins Verbrechen werden oft mit Russland assoziiert und die Hitlers mit Deutschland, aber der mörderischste Teil der -UdSSR war ihre nichtrussische Peripherie, und die Nazis mordeten vor allem außerhalb Deutschlands.« (S.13) Snyder begab sich bei seiner Recherche für das Buch durch zahlreiche Archive und Bibliotheken dieser Länder und erschlägt den Leser mit einer Fülle an Details, die er nur selten einordnet. Er ordnet die Geschehnisse in dieser Zeit in drei große Gruppen ein: Die Hungersnot im Jahr 1932/33, die von Stalin angeordneten ethnischen Säuberungen in der Ukraine und in Polen und die deutsche Okkupation. Obwohl Snyder betont, dass er Hitler nicht mit Stalin vergleichen will, greift er immer wieder zu solchen Gleichsetzungen. Über die Jahre 1936 bis 1938 schreibt er: »Die Unterdrückung dieser unerwünschten sozialen Gruppen erforderte die Schaffung eines Netzwerks von Konzentrationslagern. Zu den 1933 eröffneten Lagern Dachau und Lichtenburg kamen 1936 Sachsenhausen, 1937 Buchenwald und 1938 Flossenbürg hinzu. Im Vergleich zum Gulag waren diese fünf Lager eher bescheiden. Während Ende 1938 über eine Millionen Sowjetbürger in Konzentrationslagern und Spezialsiedlungen Zwangsarbeit verrichteten, betrug die Zahl der Häftlinge in deutschen Konzentrationslagern etwa 20 000. Wenn man die jeweilige Bevölkerungszahl einbezieht, war das sowjetische Lagersystem zu diesem Zeitpunkt etwa 25-mal größer als das deutsche« (S. 104) Snyder hat sein Buch in erster Linie für amerikanische Leser geschrieben. Es enthält an einigen Stellen solche Vergleiche mit der Botschaft, was waren die deutschen Konzentrationslagern gegenüber den Gulags, was war Auschwitz und die Vernichtung der europäischen und osteuropäischen Juden gegenüber dem systematischen Verhungernlassen ganzer Bevölkerungsgruppen in der Sowjetunion. »Auschwitz war der Höhepunkt des Holocaust, der erst erreicht wurde, als die meisten sowjetischen und polnischen Juden unter deutscher Herrschaft bereits tot waren. Von der einen Million sowjetischer Juden, die im Holocaust ermordet wurden, starb weniger als ein Prozent in Ausschwitz. Von den rund drei Millionen polnischer Juden, die im Holocaust ermordet wurden, starben nur etwa sieben Prozent in Auschwitz.« (S. 281).

Ähnlich geht Snyder bei der Beschreibung der Partisanen vor, die gegen die Wehrmacht und ihre Verbündeten gekämpft haben. »Hitlers ausdrückliche Entscheidung, alle Juden Europas zu ermorden, erhob die Gleichsetzung von Partisanen und Juden zu einer Art abstrakten Formel: Juden unterstützten Deutschlands Feinde und mussten darum präventiv vernichtet werden. Hitler und Himmler setzten die jüdische Bedrohung mit der durch die Partisanen gleich. Die Logik der Verbindung zwischen Juden und Partisanen war vage, aber ihre Bedeutung für die Juden von Weißrussland, dem Zentrum des Partisanenkampfs war völlig klar. In der militärischen Besatzungszone, dem rückwärtigen Bereich der Heeresgruppe Mitte, begann die Ermordung von Juden im Januar 1942 von neuem.« (S.244 f.) Die Umkehrlogik, die Snyder zwar nicht direkt ausspricht, aber mitschwingt ist deutlich. Wenn die Partisanen nicht gegen die Wehrmacht gekämpft hätten, hätten viele jüdische Menschen eine Überlebenschance gehabt. In einer Besprechung des Buches schreibt Ahlrich Meyer in der konservativen »Neuen Zürcher Zeitung«: »Der Prüfstein für Snyders These der `Interaktion´ des NS- und des Sowjetsystems liegt in der Gleichzeitigkeit und Gleichförmigkeit von Massenmorden. Dafür ist die Erschießung der polnischen Offiziere in Katyn ein Beispiel, der Partisanenkampf in Weißrussland ein anderes. Gerade hier aber kommen die größten Zweifel am ganzen Konzept auf, denn Snyder ist offenbar der Ansicht, die Aktionen der sowjetischen – und darunter auch der jüdischen – Partisanen gegen die Wehrmacht und die deutschen Vergeltungsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung seien einer Logik wechselseitiger Eskalation gefolgt, die Partisanen hätten solche Maßnahmen geradezu provoziert. Nichts ist fragwürdiger als das.« (NZZ 27.7.2011 Online-Ausgabe). Das Buch weist viele solcher Andeutungen auf. Es ist in keinster Weise bahnbrechend, oder hat sogar einen Meilenstein in der Geschichtsschreibung gesetzt.

Obwohl ich das Buch mit Interesse angefangen habe zu lesen, habe ich mich über viele Seiten darin geärgert und musste mich zwingen, es bis zu Ende zu lesen. Trotz dieser anstrengenden Lektüre hat mich Snyders »Bloodlands« angeregt, mich mit einigen Aspekten dieser Geschichte, wie dem Warschauer Aufstand, näher zu beschäftigen. Also hat mir das Buch auch etwas gebracht.