»Verwunderung«

geschrieben von Dieter Lachenmayer, VVN-BdA Baden-Württemberg

5. September 2013

Erwiderung zur Buchbesprechung »Blutländer« in
antifa November/Dezember 2011

März-April 2012

»Bloodlands« – »Blutländer« die Besprechung, die Thomas Willms in der letzten antifa über das neu erschiene Buch von Timothy Snyder geschrieben hat, hat nicht nur in unserem Landesvorstand einige Verwunderung hervorgerufen. Es geht dabei nicht darum, was Snyder schreibt, sondern darum, wie dies in der antifa aufgegriffen wird. »Neue Maßstäbe für Geschichtsschreibung« setze dieses Buch, kündigt schon das Editorial von Regina Girod an und in seiner Besprechung selbst spricht Thomas Willms dann vollauf begeistert von »neuen Maßstäben wissenschaftlicher und intellektueller Offenheit, Klarheit und Integrität.«

Worauf gründet sich diese Begeisterung? Das Buch handle, so Thomas Willms von der Gesamtdarstellung der »drei Großverbrechensgruppen, konzentriert auf das Territorium in dem sie stattfanden«, nämlich Polen und die westliche Sowjetunion, Estland. Lettland, Litauen, die Ukraine, Moldawien sowie Belorussland. Diese drei »Großverbrechen«, »der Judenmord der Nazis, … die Nazimassenmorde an anderen Opfergruppen und die … Massenmorde der Sowjetunion der Stalinzeit« ließen sich »erklären aus dem Kampf um die ‚Sicherung der Sowjetherrschaft‘ im stalinschen Sinne, bzw. die Eroberung und Kolonisierung des Ostraumes.« Das ist nun nicht wirklich ein neuer Maßstab, sondern bloß eine neue Variante der alten Leier: Die Sowjetunion war mindestens genauso schlimm wie Nazideutschland, Stalin wie Hitler, Sozialismus wie Faschismus. Schlimmer noch, die Verteidigung der Sowjetunion war ein vergleichbar verbrecherisches Unterfangen wie der Angriff auf sie. Es kommt noch dicker: In den Massengräbern der ‚Blutländer‘ liegen die Opfer »aller Massenmorde, sowohl Nazideutschlands als auch der Sowjetunion«, die »unabhängig von persönlicher ‚Schuld‘ zu Angehörigen von missliebigen Völkern und damit beliebig verschiebbar, nutzbar, tötbar wurden.« Thomas Willms verzichtet vollkommen darauf, dem Leser Hinweise zu geben, wie Snyder darauf kommt, sowjetische Massenmorde in selber Dimension wie die der Nazis zu behaupten. Ohne jede Distanz zu Snyders Behauptung erklärt er uns aber ihr Motiv: In der Sowjetunion herrschte der gleiche eliminatorische Rassismus wie bei den deutschen Faschisten. Das ist vielleicht nicht orginell als wissenschaftliche ‚Erkenntnis‘ aber zumindest neu. Die eigentliche Überraschung kommt jedoch erst: »Anders als mancher jetzt vermutet, ist es aber keine Totalitarismus-Geschichte«, nimmt Thomas allen Kritikern den Wind aus den Segeln. In unserem Landesvorstand hatten in der Tat alle, die sich zu diesem Thema geäußert hatten, nicht nur vermutet, sondern ihre Überzeugung geäußert, dass dies die härteste Totalitarismusgeschichte ist, die je in einer Publikation der VVN-BdA zustimmend berichtet worden ist. Das Allerhärteste steht dem Leser jedoch noch bevor: Thomas Willms und Snyder fassen zusammen, wie es damals je nach »Kriegsverlauf« zuging: »Aus Judenmördern konnten sehr wohl Sowjetpartisanen werden, deren Krieg sich auch gegen jüdische und polnische Partisanen richten konnte. Umgekehrt aber auch!« Also: aus Sowjetpartisanen, deren Krieg sich ohnehin auch gegen jüdische und polnische Partisanen richten konnte, konnten jederzeit Judenmörder werden. Wie sollen wir das verstehen: Sowjetpartisanen oder Judenmörder waren Jacke wie Hose? Eigentlich war es aber ohnehin vollkommener Zufall, ob jemand SS-Helfer oder Landesverteidiger war, denn es herrschten »Zustände, in denen kaum Möglichkeiten existierten, gute oder auch nur richtige Entscheidungen zu treffen.« Mit Verantwortung, Schuld oder gar Moral, braucht man also auch Judenmördern gar nicht erst zu kommen.

So beliebig, wie es in dieser Buchbesprechung ist, Opfer oder Täter gewesen zu sein, so beliebig scheint die Auswahl der Artikel in unserer Zeitung zu erfolgen. Was hat dieses Buch und seine geradezu begeistert lobende Besprechung in unserer Zeitung zu suchen? Kann die kollektive Redaktion eines Blattes, das von einer Organisation herausgegeben wird, die von Opfern gegründet und dem Antifaschismus verpflichtet ist, nicht zwischen einem antifaschistischem und einem der Totalitarismuslegende verpflichteten Ansatz unterscheiden? Oder traut sie sich nicht, dem Bundesgeschäftsführer dann doch mal zu erklären, auf welch gefährlichen Holzweg er sich verirrt hat? Warum hat niemand rechtzeitig gesagt: Nein, für einen solchen Beitrag ist in der Zeitung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen kein Platz!