Was heißt hier trivial?

geschrieben von Diether Dehm

5. September 2013

Zum Gedenken an den Antifaschisten Johannes Mario Simmel

Jan.-Feb. 2009

Die politische Linke mag keine Bestsellerautoren. Aber auch mit dieser Pauschalierung klebt sie auf herrschendem Leim. Vorverurteilungen von Kleinbürgertum und Bestsellerei sind aus gleichem Holz. So giftete der Kleinbürger Brecht vergnüglich gegen die kleinbürgerlichen »Tuis« als vom Kapital pachtbare Verklärer und fügte in sein Werk selbst imprägnierend proletarische Standpunkte nebst Publikumsmobilisierung ein. Der Antikapitalismus des Kleinbürgers Thomas Mann war eher mit Georg Lukacs heraus zu tüfteln. Auch antifaschistische Massenwirkung kam vorwiegend aus dem Kleinbürgertum.

Dieser bürgerlichen Fahnenflucht in den Antikapitalismus musste nach dem Krieg ein besonderer Zaun entgegengestellt werden. Wer die Hauptlügen der Markwirtschaft unangetastet lässt, gilt bis heute als populär. Wer Antikapitalismus verbreitet, als »trivial und »populistisch«. Mit den 68ern teilten sich dann die journalistischen Wachmannschaften. Die Wenigsten um »Handelsblatt« und FDP priesen offen den monopolbourgeoisen Staat. Die Mehrheit wurde zu Kopfgeldjägern. Auf jene, die den Kapitalismus verrieten. Das Kleinbürgertum in Deutschland musste weiterhin als Schild & Schwert-Träger vor die ideologischen Hauptlasten des Monopolkapitals gespannt bleiben. Und die Linksabweichler mussten wieder in die zahnlose Herde zurückgestoßen werden.

»Bild« übernahm den Job der frühen SA (als da noch Hans Habe schrieb): gegeneinander aufschäumender Neid der Schichten bei gleichzeitiger Kriminalisierung von Klassenkämpfern. Und seit Altnazi Nollau vom Verfassungsschutz zum Ende der Augstein-Krise seinen Deal mit »Zeit« und »Spiegel« gemacht und diese zum legalen Arm der Öffentlichkeitsarbeit erhoben hatte, (man darf sich das wie die IRA bei der Sinn Fein-Partei vorstellen), weiß nun mit jeder »Spiegel«-Ausgabe jeder linksliberal getünchte Strichjunge bei Frankfurter Rundschau, Süddeutscher und Berliner Zeitung, welchen Antifaschisten er ins Visier zu nehmen hat. Der Antikommunismus der Spontis wurde dort zum Imperativ: möglichst rebellisches Styling bei gleichzeitig militanter Allergie gegen Eigentumsdemokratie-Forderungen.

Aber genau dagegen schrieb Simmel weiter an, mit den kindlichen Scheuklappen eines »frühreifen Begabten« (Gaus): gegen »die multinationalen Konzerne, die so viel Unglück über die Menschen bringen«. Demonstrativ trat er aus der Kirche aus, »weil die Waffen gesegnet hatte«. Und welchen Blutzoll hatte seine Familie den Nazis zu entrichten! Zunächst noch war er geschützt, als landesweit bestbezahlter Reporter der »Quick«, als Drehbuchautor von 36 Spielfilmen.

Dann jedoch geiferte der pawlowsche Feuilleton-Reflex ereifernd: »peinlich und links«. Das Totschlagswort »Kitsch«, das es nur im Deutschen gibt, wurde hierzulande stets gegen Wirkungsvolle instrumentalisiert, die antikapitalistischen Handlungsaufruf nicht aussparen: ob gegen Brecht, Hacks, Busch, Degenhardt, Hochhuth usw. Oder gegen Simmel. Aber in der Deckung seines Publikums und der 70 Millionen verkauften Bücher trafen ihn die Wortgranaten kaum. Dagegen konnte dann nur der Kriegshetzer Konsalik helfen.

In einem Gespräch 1996 mit Günter Gaus bewies er Unbeirrtheit. »Die größten Geister waren Kommunisten geworden… Viele sind meine Vorbilder… Ja, ich hoffe auf den Sozialismus … auf ein Konglomerat so vieler zertretener Träume.« Er schrieb gegen Euthanasie, gegen das Adenauer-Deutschland und seine Wiederbewaffnung und überall gegen »die Nazis, die leider doch nicht verschwunden sind«. Für die Feier zum 50. Jahrestag der Gründung der VVN bei uns in Frankfurt am Main sagte Simmel – wie er mir nebenbei erzählte- eine Lesung für ein paar tausend Mark ab. Die FAZ sprach vom »Trivialautoren«.

Vor wenigen Monaten erzählte er mir, dass er anfänglich gemeint hatte, ohne Sex & Crime könne »die ausführliche Beschreibung der herrschenden Verbrecher kein Mensch aushalten« und wie froh er später wurde, »bei seinen letzten Romanen dann keinerlei deftige Bettszenen mehr nötig gehabt zu haben, um hohe Aufklärung in hohen Auflagen zu bringen. Damit mehr Menschen mehr denken und weniger glauben.«