Was Krieg hinterlässt

geschrieben von Rahel Fink

5. September 2013

Der Film „Esmas Geheimnis“ (Grabavica) von Jasmina Zbanic

Sept.-Okt. 2006

Jasmina Zbanic:

„Grbavica“ („Esmas Geheimnis“), Österreich / Deutschland / Bosnien / Kroatien 2005, 92 Minuten

Regie: Jasmina Zbanic

Darsteller: Mirjana Karanovic, Luna Mijovic, Leon Lucev und andere

Kamera: Christine A. Maier

Die Autorin ist Psychologin und betreut in Berlin ehrenamtlich bosnische Frauen.

Als ich ein bosnisches Mädchen in der Therapie nach ihrem Vater fragte antwortete sie mir, „ich lebe, weil der Krieg war“. Ihre Mutter hat das gleiche Schicksal wie Esma erlitten. Im „Südosteuropa Kulturzentrum e. V.“ habe ich viele Frauen kennengelernt, die in Vergewaltigungslagern waren. Ihnen gemeinsam ist eine unendliche Traurigkeit, die ihre Gesichter zeichnet und ihre Schultern schwer nach unten zieht. Sie treffen sich in Therapiegruppen, so wie auch Esma in dem Film. Hier in Berlin wird den Frauen zwar kein Geld dafür ausgezahlt, aber sie bekommen Atteste, die sie dann bei der Ausländerbehörde vorlegen müssen, damit ihr Aufenthalt (hoffentlich) verlängert wird. Ihr Schicksal allein berechtigt zu keinem Aufenthalt.

Ich habe diesen Film mit interessierten Augen für die Darstellung der Tochter gesehen. Denn die Kinder von Müttern mit solchen Erinnerungen haben eine andere Kindheit. Bevor sie sich auf die Suche nach ihrer eigenen Identität begeben, erleben sie ihre Mütter mit ihren sonderbaren Verhaltensweisen und nicht berechenbaren Reaktionen.

Genau das schafft der Film in einer Deutlichkeit zu zeigen, die unter die Haut geht. Sara jagt mit ihrer noch verschlafenen Mutter lachend durch die Wohnung. Das Spiel scheint unbeschwert, doch plötzlich stützt sich Sara freudig triumphierend ob ihres Sieges auf ihre Mutter, hält sie fest, drückt sie zu Boden und beugt sich über sie. Esma bricht in Panik aus, schreit Sara an und wirft sie hinunter. Die Tochter ist verunsichert, sie weiß nicht, warum die Mutter so reagiert, doch irgendwie ist sie ist es auch schon gewöhnt. So zeigt der Film viele Momente normalen Lebens, die eigentlich sogar schön werden sollten, aber plötzlich mit Panik, Traurigkeit und Kummer enden.

An einer Stelle des Films verlangt der Lehrer, dass Esma in die Schule kommen soll. Um dies zu verhindern, behauptet Sara, sie sei krank. Was in diesem Moment als Notlüge gedacht ist, entspricht der Wahrheit, die Sara im Grunde erkannt hat. Ihre Mutter ist sehr krank.

Saras Suche nach dem Vater hangelt sich an der Finanzierung der bevorstehenden Klassenfahrt entlang. Kinder von Kriegshelden, von Gefallenen, müssen weniger bezahlen. Da Sara keinen Vater hat, bleibt für sie nur eine Möglichkeit – er ist ein Kriegsheld. Aber dafür braucht sie eine Bescheinigung. Sara fleht ihre Mutter an, endlich die nötigen Nachweise zu besorgen. Immer wieder versucht sie, von der Mutter etwas über den Vater zu erfahren. Wer ist mein Vater, sehe ich ihm ähnlich? Die Mutter zögert, sie möchte nicht antworten. Als die Tochter nicht locker läßt sagt sie schließlich: „Die Haare hast du von ihm“. Sara ist glücklich, wenigstens etwas zu wissen.

Esma unternimmt alles, um das Geld für die Klassenfahrt zu bekommen. In ihrer Verzweiflung geht sie zu ihrer Freundin in die Schuhfabrik. Die Freundin begreift Esmas Not, läuft durch die Fabrikhalle und sammelt bei all ihren Kolleginnen das Geld zusammen. Jede die kann, gibt etwas dazu. Esma ist außer sich vor Glück und bringt das Geld in die Schule. Sara wird stutzig. Sie stellt ihre Mutter zur Rede und besteht auf einer Antwort – wer ihr Vater ist. Esma verliert die Nerven, schlägt auf ihre Tochter ein und sagt ihr die Wahrheit in ihrer ganzen Grausamkeit.

In der Therapiegruppe spricht Esma über ihr Schicksal. Sie erzählt, wie sie gegen ihren immer dicker werdenden Bauch schlug, um das Kind loszuwerden. Nach der Geburt ließ sie es wegbringen. Sie wollte es nicht sehen. Doch die kläglichen Schreie, die sie durch die Wände hörte und die einschießende Muttermilch, ließen sie weich werden. Als sie die Tochter in den Armen hielt, so erzählte sie in der Gruppe, „weinte ich, denn ich wusste doch nicht, dass es noch etwas Schönes auf der Welt gibt“.

Während Esma in der Therapiegruppe erzählt, rasiert sich Sara die Haare ab, die sie von ihrem Vater hat. Der Film endet, Mutter und Tochter gehen zum Bus. Die anderen Kinder verabschieden sich aufgeregt und herzlich von ihren Eltern. Sara und Esma nur knapp. Der Bus fährt ab. Sara sitzt hinten und schaut durch die Scheibe ihre Mutter an. Im letzten Moment hebt sie die Hand und winkt ihr zu. Esma winkt voller Erleichterung und Liebe zurück.

Dieser Film ist einzigartig. Er sollte zum Pflichtprogramm für Lehrer und alle, die mit Kindern arbeiten, werden. Denn deutlicher kann man das komplizierte Zusammenleben von Menschen, deren Biographien durch den Krieg zerbrochen wurden, nicht zeigen.