Was wird aus Europa?

geschrieben von Emil Hruska

5. September 2013

Gedanken zum Nationalismus aus tschechischer Sicht

Jan.-Feb. 2008

Am Jahrestag der so genannten Kristallnacht in Deutschland, haben tschechische Neonazis unter Beteiligung von Kumpanen aus dem Ausland versucht, im Judenviertel von Prag einen Aufmarsch durchzuführen. Da diese provokative Veranstaltung amtlich verboten worden war, griff die Polizei durch. Weil sich aber auch viele Bürger und vor allem Anhänger der linken autonomen Bewegungen zu einer Gegendemonstration eingefunden hatten, wurde der Polizeieinsatz in den Medien – und auch von führenden Politikern – als Einsatz gegen rechte und linke Extremisten bezeichnet. Beide Seiten hätten die öffentliche Ordnung gestört. Doch nicht genung damit: Das Verbot des Aufmarsches führte zu ernst gemeinten Debatten über die Rechte der Neonazis als »Mitbürger im Rechtsstaat«, weil die Entscheidung des Stadtamtes und des Verwaltungsgerichtes angeblich im Widerspruch zum Versammlungsgesetzt stand. Allgemein gelte doch, dass die Einhaltung der politischen Rechte, auch der Neonazis, Grundlage des Rechtsstaates sei. Aber kann sich der Rechtsstaat dann überhaupt noch effektiv gegen Neonazis wehren?

Ein zweites Beispiel: Am 14. November wurde bekannt, dass die rechtsextreme Fraktion im Europäischen Parlament, die seit Januar unter dem Namen »Identität, Tradition, Souveränität« existierte, zerbrochen ist. Auch wenn alle Gegner der extremen Rechten diese Tatsache nur begrüssen können, muss man doch nach ihren Ursachen fragen. Denn der Bruch erfolgte nicht infolge von konzentriertem politischen Druck, sondern auf Grund unappetitlicher nationalistischer Streitereien innerhalb der Fraktion.

Das Phänomen des Nationalismus erfährt im Augenblick eine rasante und ungewöhnliche Wiederbelebung in den meisten europäischen Ländern. Wegen seiner engen Verbundenheit mit dem Neo-nazismus nimmt es noch dazu immer militantere Formen an. Für mich, dessen ursprüngliche Heimat – die Tschechoslowakei – zweimal durch Nationalismus zerschlagen wurde, ist es tragisch zu beobachten, was zum Beispiel heute in Belgien geschieht, ein Land, das immer als Modell der europäischen Integration galt. Wenn von Nationalismus die Rede ist, der oft untrennbar verbunden mit historischem Revisionismus daherkommt, denken wir Tschechen sofort an die Sudetendeutsche Landsmanschaft. Eine Gruppierung, die auch von der Bundesregierung unterstützt wird. Eine Gruppierung, die schon Jahrzehnte die Beziehungen zwischen Tschechien und der BRD stört. Ihre Amtsträger knüpfen stetig an die Tätigkeit der ehemaligen »Volkstumskämpfer« in der Tschechoslowakei an und haben deshalb grosse Erfahrungen. Man kann ihre Politik als findige Kombination aus unterschiedlichem Druck, hoch entwickelter Heuchelei und der Suche nach immer neuen Wegen und Verbündeten charakterisieren.

Die Amtsträger der Sudetendeutschen Landsmannschaft sprechen gern über die »Europäisierung der sudetendeutschen Frage«. Diese beinhaltet bis heute, laut ihrer Satzung, »den Rechtsanspruch auf die Heimat, deren Wiedergewinnung und das damit verbundene Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppe« und »das Recht auf Rückgabe bzw. gleichwertigen Ersatz oder Entschädigung des konfiszierten Eigentums der Sudetendeutschen«. Vorausetzung für die Erfüllung solcher Ansprüche wäre die Revision der Resultate des Zweiten Weltkrieges, die sowohl im Postdamer Abkommen, als auch – was die Tschechoslowakeit betrifft – in speziellen Präsidentendekreten festgeschrieben wurden. (Laienhaft und ungenau werden diese oft als »Beneš-Dekrete« bezeichnet.)

Als das slowakische Parlament im September 2007 die Unantastbarkeit der so genannten Beneš-Dekrete bekräftigte, und zwar als Reaktion auf immer stärkere Aktivitäten ungarischer Nationalisten, bezeichnete der Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft und EP-Abgeordnete Posselt die Beneš-Dekrete umgehend als »Krebsgeschwür in der EU, das endlich operativ entfernt werden müsse«.