Weiße Handschuhe

geschrieben von Thomas Willms

5. September 2013

Aktenordner und alte Kämpfe gegen alte Nazis

April-Mai 2012

Vergebliche Bemühungen – Das VVN-Verbotsverfahren

Seit Beginn der 50er-Jahre gab es Versuche, gegen die VVN und einzelne ihrer Landesverbände mit Verbotsdrohungen und juristischen Verfolgungen vorzugehen. Justizverfahren, etwa gegen die VVN Niedersachsen 1954 oder die VVN Bayern 1955, scheiterten jedoch vor Gericht. Im Herbst 1959 schließlich stellte die Bundesregierung einen Verbotsantrag gegen die VVN auf Bundesebene. Der zweite Prozesstag im November 1962 wurde zum Fanal: Der NS-Verfolgte August Baumgarte aus Niedersachsen hielt im Zuschauerraum ein Bündel Akten in die Höhe und rief vor internationalem Publikum dem zuständigen Richter zu: »Herr Präsident, Sie waren ein großer Nazi. Hier sind die Beweise.« »So wie die Dinge stehen«, schrieb daraufhin die Neue Zürcher Zeitung, »erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Prozess auf längere Zeit vertagt und dann stillschweigend abgesetzt wird.« Genauso geschah es – die Einstellung des Verfahrens erfolgte schließlich 1965.

Die beiden Männer der Kunstspedition sahen aus, als könnten sie notfalls auch ein Klavier abholen. Unter den Armen trugen sie große leere Pappkartons und ganze Rollen von Verpackungsmaterial. Abzuholen war ein Gegenstand, der vielleicht 50 Gramm wiegt, nämlich die Ausgabe der »tat« vom 26.09.1959, der damaligen Wochenzeitung der VVN. Sie trägt die Schlagzeile »Minister Oberländer unter schwerem Verdacht«. Die beiden streiften weiße Leinenhandschuhe über und handhabten die alte Zeitung vorsichtig wie eine Madonna. Danach erbaten sie noch einen Aktenordner mit der Aufschrift »Oberländer – Dokumente«. Leicht schuldbewusst übergab ich ihnen den alten Ordner mit dem angerosteten Blechschild, der sogleich in einem weiteren großen Karton verschwand. Beide Archivalien gingen in die Ausstellung »Skandale in Deutschland nach 1945«, die 2008 im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn gezeigt wurde. Vorausgegangen waren Briefe, Gespräche, Besichtigungen, Versicherungs- und Ausleihverträge. Am liebsten hätte das Museum auch noch ein altes Transparent gehabt »Oberländer muss zurücktreten«. Doch da mussten wir passen. Unsere Kameradinnen und Kameraden hatten vor über einem halben Jahrhundert wenig Sinn und Gelegenheit gehabt, sich vorausschauend selbst zu musealisieren. Schon gar nicht werden sie damit gerechnet haben, dass ihre Kämpfe, wie die mit dem NS-belasteten »Vertriebenenminister« der Bundesrepublik, einmal in einem Museum eben dieses Staates gewürdigt werden würden. Das besondere Interesse an der kleinen Zeitung erklärte sich daraus, dass es sie eigentlich gar nicht geben dürfte. Die halbe Auflage wurde damals noch in der Nacht in der Druckerei beschlagnahmt. Doch ein Exemplar ging ein in unseren Fundus von Materialien, die den wechselvollen Kampf der VVN gegen alte Nazis in wichtigen gesellschaftlichen Funktionen der Bundesrepublik widerspiegeln. Die Akte ist mittlerweile wiedervereinigt mit denen zum Verbotsprozess gegen die VVN. Blättert man ihnen, (unterdessen in Ordnern ohne Rost), fällt man zurück in die Zeit von Kopierstiften, mechanischen Schreibmaschinen und ausgefransten Durchschlägen, von alten Postleitzahlen und »fernmündlichen« Anfragen. Dass die Unterlagen überhaupt noch existieren, trotz politischer Verfolgung, organisatorischer Umbrüche, hektischer Transporte, zu wenig Platz, zu wenig Geld, unzureichender Aufbewahrungsbedingungen und allen Wechselfällen der Zeit ist ein kleines Wunder für sich. Bloß wofür eigentlich? Doch nur, damit spätere Generationen aus ihnen lernen können, dass die Wissenschaft sich ihrer annimmt und die harten politischen Kämpfe der VVN mit den Oberländers, Globkes und den vielen anderen alten Nazis analysiert und aufbereitet. Wie kam es eigentlich dazu, dass Oberländer gehen musste und die VVN nicht? »Der Verbotsprozess gegen die VVN und die Abdankung des Vertriebenenministers Oberländer im Kontext der Ost-West-Auseinandersetzung«. Das wäre doch mal eine schöne Doktorarbeit. Die Unterlagen dafür stehen bei uns.