Widersprüchliche Aspekte

geschrieben von Till Mayer

5. September 2013

Berliner Tagung über »Kinder des Widerstands und des
Exils«

Nov.-Dez. 2012

Der Autor gehört zur »Dritten Generation« und arbeitet im Berliner Arbeitskreis »Fragt uns, wir sind die letzten« mit.

Als sich die Podiumsdiskussion für das Publikum öffnet, werden erst einmal keine Fragen gestellt. Stattdessen kommen immer wieder Teilnehmende nach vorne und berichten eindringlich vom Widerstand und der Verfolgung ihrer Eltern in Nazi-Deutschland sowie den Folgen für ihr eigenes Leben. Wie sie in ihrem Dorf als Verräter galten, dass die Eltern ihre Vergangenheit verschwiegen, wie die Ausgrenzung nach 1945 andauerte. Manche von ihnen sprechen zum ersten Mal vor Publikum, doch die über 100 Zuhörer lauschen geduldig. Nur als eine Frau sich als Angehörige der dritten Generation der Kriegskinder vorstellt und Kriegsfolgen und NS-Verfolgung kurzerhand vermischt, wird es unruhig. Der Moderator Micha Brumlik unterbricht sie und spricht damit eine erste dringliche Frage an, die später von Wolfgang Herzberg in seinem Vortrag wieder aufgegriffen wird: Wer genau gehört eigentlich alles zu der zweiten Generation, von der hier die Rede ist? Denn ursprünglich, so Herzberg, war der Begriff »nur für jüdische Nachkommen der während der Naziherrschaft und unmittelbaren Nachkriegszeit geborenen Personen gebildet worden«. Weltweit war zuvor eine massive psychische Übertragung der Prägungen und Erfahrungen von antisemitischer NS-Verfolgung auf die nächsten Generationen festgestellt worden.

Der Verlauf der Tagung zeigt, wie groß das Bedürfnis vieler Teilnehmer ist, sich über ihre Erlebnisse auszutauschen. Doch die Vorträge basieren nicht nur auf eigenen familiären Erfahrungen. So berichten Dieter Nelles, Armin Nolzen und Heinz Sühnker von ihrem Forschungsprojekt zur Diskriminierung sozialistischer und kommunistischer Familien in Nazi-Deutschland. Sie legen unter anderem dar, welche Auswirkungen die Verfolgung der betroffenen Eltern auf ihre Kinder Mitte der 1930er hatte. In der anschließenden Diskussion zeigt sich ein weiterer Konflikt: Eine Teilnehmerin weist die Referenten empört darauf hin, welche Arten des Widerstands von ihnen alle unterschlagen worden seien – und übersieht dabei den wissenschaftlich nachvollziehbaren räumlichen und zeitlichen Fokus des Forschungsprojektes.

Immer wieder taucht auch die Frage auf, wie in Zukunft die Erinnerungen der ersten Generation bewahrt werden könnten. »Der Status des Zeitzeugen ist nicht vererbbar.« halten Christa Bröcher und Klara Tuchscherer, geborene Schabrodt fest, als sie sich mit der Diskriminierung und Verfolgung von in der VVN organisierten Eltern auseinandersetzen. Beide berichteten von ihrem Arbeitskreis »Kinder des Widerstands« bei der VVN-BdA in NRW, der sich für die Rehabilitierung verfolgter Väter und Mütter einsetzt. Sie wollen zeigen, »was Widerstand, Verfolgung, Inhaftierung, Folter, und Terror für den einzelnen Menschen und dessen Familien bedeutete. Und zwar vor wie nach 1945.« Die »Kinder des Widerstands und des Exils« bringen auf den Punkt, was die Tagung teilweise etwas konfliktbeladen, aber doch immer wieder spannend und erkenntnisreich macht. Denn auch wenn der Respekt vor der ersten Generation betont wird, so steht im Mittelpunkt doch nicht ihr Heldentum. Es geht vielmehr um Traumata, individuelle und kollektive Verdrängung, Verlust, Angst und Scham.

Diese Aspekte konnten nicht immer ohne Weiteres diskutiert werden. In der BRD, aber auch im Exil in Großbritannien, diente das Schweigen gegenüber den Kindern dem eigenen Selbstschutz. In Zeiten des Kalten Krieges oder der Verfolgung durch ehemalige Nazi-Funktionäre war offenes Sprechen über antifaschistischen Widerstand kaum möglich. In der DDR hingegen schien viel Platz für die Helden und Heldinnen gewesen zu sein, die dem Hitlerfaschismus die Stirn geboten hatten – an den Problemen der Überlebenden und ihrer Kinder gab es jedoch wenig Interesse. Eindrücklich schildert dies unter anderem Oswald Schneidratus in seinem Vortrag »Kinder des sowjetischen Exils: Überwinden des verordneten Schweigens«. Auch aus persönlicher Perspektive setzt er sich mit bitteren Berichten über stalinistische Säuberungen auseinander.

Es scheint gerade die Diskussion der widersprüchlichen Aspekte von Widerstand, Verfolgung und Emigration, das Sichtbarmachen des eigenen Leids zu sein, die im Haus der Demokratie und Menschenrechte den Weg für die zweite Generation ebnet. Denn sie könnte dabei helfen, das Vermächtnis der Eltern zu bewahren und deren Geschichte dennoch neu zu erzählen. »Sahen sich die Menschen aus dem antifaschistischen Widerstand eigentlich als Opfer?« richtet eine Teilnehmerin ihre Frage provokant an das Podium. »Viele haben sich nicht als Opfer, sondern als Kämpfer gegen den Faschismus gesehen«, antwortet Hans Coppi und nach kurzem Überlegen: »Aber haben sie damit nicht auch einen Teil ihrer gebrochenen Lebensgeschichte, ihrer Persönlichkeit verschwiegen?«