Widerstand in Thüringen

geschrieben von Norbert Podewin

5. September 2013

Eine lesenswerte Spurensuche antifaschistischen Kampfes

Nov.-Dez. 2007

Die Fülle der Widerstandsliteratur gegen den deutschen Faschismus ist jüngst um eine bemerkenswerte Neuerscheinung bereichert worden. Autor Gerd Kaiser zeichnet die Geschichte des Widerstandes in Thüringen nach. Es war das erste Land der Weimarer Republik, in dem sich 1931 in einer Koalition NS-Politiker – so Wilhelm Frick – legal positionieren konnten. Im August des Folgejahres kam hier die erste »rein nationalsozialistische« Landesregierung ins Amt; der seit 1927 NSDAP-»Gauleiter« und fanatische Antisemit Fritz Sauckel wurde Staats- und Innenminister.

Historisch fundiert setzt Kaiser den Widerstand gegen die NS-Bewegung bereits 1923 an und kennzeichnet deren Drahtzieher: »Der Faschismus zeigte sich mitnichten als ein gesellschaftliches Problem der ‚politischen Ränder von rechts und links‹. Er war eine Frucht der finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Herrschaftsraffinesse an der Spitze und in der Mitte der Gesellschaft, den Interessevertreter den Faschismus förderten und tolerierten, ihm schließlich den Weg öffneten.«

Die verschiedenen Etappen des Kampfes werden herausgearbeitet und die Aktivisten – vor allem Kommunisten und Sozialdemokraten – gewürdigt. Doch auch Intellektuelle, Kleinbürger und Geistliche, die vor der Demagogie der Hitler-Bewegung warnten, finden Würdigung. Der Überblick über den Widerstand im Thüringer Wald wird ergänzt durch das Kapitel »Lebensbilder aufrechter Frauen, Männer und Jugendlicher«, in dem etwa 430 Antifaschisten gewürdigt werden. Bei einigen musste es bei bloßer Angabe bleiben, da Unterlagen nicht mehr vorhanden sind, so »Heinrich List; Suhl, politisch verfolgt und im KZ Buchenwald gestorben« oder »Günther Schwarze; geboren am 26.2.1912 in Rudolstadt, wohnhaft Erfurt, wurde von einem Gestapokommando kurz vor der Befreiung im Webicht erschossen«.

Wo Kaiser bei seiner akribischen Suche fündiger wurde, lernen wir politische Lebensbilder in aller Vielfalt kannten. Hunderte Überlebende und Angehörige wurden befragt und stellten einmalige Dokumente und Fotos zur Verfügung. »Gefunden wurden«, so der Autor, »bisher zumeist unbekannte Briefschaften, Anklageschriften und Urteile, Flugblätter, handgeschriebene Erinnerungen von knapp einer Seite bis zu unveröffentlichten Autobiografien von über 200 Seiten«. Nachgewiesen aber werden auch nach 1990 »gelöschte« Erinnerungsstätten und Persönlichkeiten, die nicht in die These von den »zwei deutschen Diktaturen« passten.

Gerd Kaiser

Auf Leben und Tod. Stille Helden im antifaschistischen Widerstand 1923 bis 1945, edition bodoni 2007,

ISBN-10: 3929390965
ISBN-13: 978-3929390964

Gerd Kaiser selbst hat ein hervorragendes quellenkritisches Werk vorgelegt und darin keinen Zweifel an seiner politischen Haltung gelassen. Er schreibt dazu bündelnd: »Die seit Ende des 20. Jahrhunderts in Umlauf gebrachten gestanzten Worthülsen vom ›verordneten‹ oder ›rituellen‹ Antifaschismus sind sprachliche und ideologische Stempel. Sie sollen politische Blindheit und Unvermögen, wirtschaftlich motivierte Liebedienerei oder Mitläufertum aus Karrieregründen gegenüber dem Phänomen Faschismus, vor allem dessen Mitgestaltung oder dessen stillschweigende Duldung oder Verherrlichung kaschieren, aktive antifaschistische Gesinnungen und Haltungen herabwürdigen, historische Tatsachen und Taten verschweigen, verfälschen oder ›delegitimieren‹«.