Zwei wichtige Urteile

geschrieben von Tanja Girod

5. September 2013

Bundesverfassungsgericht konkretisiert den Volksverhetzungsparagrafen

Jan.-Feb. 2010

Das Bundesverfassungsgericht hat im Laufe der letzten Monate zwei bahnbrechende Entscheidungen gegen rechtsextreme Straftaten gefällt, sie betreffen das Verbot von Heß-Gedenk-Aufmärschen und das so genannte »Polenplakat«.

Das ist um so bedeutender, da genau dieses Gericht mit seiner Entscheidung vom 18. März 2003 das Verbotsverfahren gegen die NPD aufgrund der Rolle von V-Leuten der Sicherheitsbehörden in der Parteiorganisation abgelehnt hat. Das NPD-Verbot steht bis heute aus. Offenbar sind aber die Richter heute mehr dazu geneigt, Rechtsradikalismus unter dem eindeutigen Gesichtspunkt seiner Strafbarkeit zu bewerten. Meiner Einschätzung nach wird durch ein Verbot von rechtsradikalen Handlungen, die den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen, der NPD zumindest teilweise ihr Handwerk erschwert. Und das Klima für einen neuen Versuch des Parteiverbots hat sich verbessert.

Der verstorbene rechtsradikale Anwalt, Immobilienspekulant und Multifunktionär Jürgen Rieger hatte sich durch alle Instanzen geklagt, um im bayrischen Wunsiedel jährliche Rudolf-Heß-Gedenkmärsche genehmigt zu bekommen. Am 4. November 2009 entschied das Verfassungsgericht, dass die Menschenwürde (Art. 1 GG) höher zu bewerten ist, als Riegers Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Das Gericht erkannte selbst, dass diese Frage eindeutig zu beantworten ist, um »Klarheit über die Rechtslage für Meinungsäußerung bei einer Vielzahl zukünftiger Versammlungen und öffentlicher Auftritte zu schaffen«. Sie sei von »allgemeiner verfassungsrechtlicher Bedeutung«. Gedenkmärsche dieser Art sind jetzt in Deutschland verboten.

Im Bundestagswahlkampf 2009 wurden in verschiedenen Landesteilen von Sachsen, Hessen und im Landkreis Uecker-Randow NPD-Plakate mit rechtsextremen Inhalt aufgehängt. Gegen eines dieser Plakate (»Polen-Invasion stoppen«) erstattete der Abgeordnete der Linksfraktion im Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Torsten Koplin, Anzeige »wegen des Verdachts der Volksverhetzung sowie aus allen sonstigen Rechtsgründen«. Bisher wurden solche Klagen je nach Land unterschiedlich beschieden. Bei dem Wahlplakat »Guter Heimflug« wurde der Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt, bei dem Plakat »Gute Heimreise« in Fulda offenbar nicht. Das ist für einen Laien kaum nachvollziehbar, weil beide eindeutig sind.

Doch mit dem Urteil vom 24.9.2009 wurde nun ein neuer Maßstab gesetzt. Für Plakate mit volksverhetzendem Inhalt gilt jetzt, dass nach Anzeige untersagt werden kann, sie in der Öffentlichkeit aufzuhängen. Das gilt zwar immer noch nicht für das Hitlerbild im privaten Hausflur, ist aber doch ein Schritt in die richtige Richtung.

Die Bewertung des § 130 StGB hat sich verändert. Hier wird die Volksverhetzung unter Strafe gestellt. Bisher gab es da keine eindeutige Lösung der Gerichte. Vor allem in Sachsen wurden immer wieder Urteile gefällt, welche die Meinungsfreiheit über die Menschenwürde stellten.

Im Kern der Argumentation des höchsten Gerichts stand bei den beiden Entscheidungen die »Eignung zur Friedensstörung« – gemeint ist hier der öffentliche Frieden. Wenn also der öffentliche Frieden und die Menschenwürde durch rechtsradikale Aktionen, sei es Plakat oder Aufmarsch, gefährdet werden, lohnt es sich, Anzeige wegen § 130 StGB zu stellen. In den Urteilsbegründungen wird eine Gewährleistung der Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzungen betont. Außerdem dürfen garantierte Rechtsgüter wie das berechtigte Vertrauen in die Rechtssicherheit bei den betroffenen Minderheiten nicht verletzt sein.

Was wir daraus lernen können: sofort Anzeige erstatten, wenn ein solches Plakat in der Öffentlichkeit aufgehängt wird, und deutlich machen, dass ein garantiertes Rechtsgut gefährdet wurde. Je heftiger die Gegenwehr, desto höher ist der Druck auf die Staatsseite, zu reagieren. In Uecker-Randow gab es öffentliche Proteste, es gab einen erheblichen Widerhall in den Medien und die Bundesrepublik sah ihr Ansehen im Ausland gefährdet. Leider stellt das nächtliche Entfernen von Plakaten weiterhin einen Diebstahl und das Unkenntlichmachen, wie im Bundestagswahlkampf in Berlin geschehen, eine Sachbeschädigung dar. Doch der Impuls ist nachvollziehbar, schließlich ist ja »Gefahr in Verzug«. Rechtsradikale Plakate, die nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen, können immerhin noch eine »Beleidigung« sein. Also klagen und Öffentlichkeit schaffen!