Wer wollte diesen Tag?

geschrieben von Ernst Antoni

9. September 2013

Geschichtspolitische Konferenz der VVN-BdA zum Jahr 1933

Juli-Aug. 2013

Eingangs hatte sich Kurt Pätzold kritisch auf den TV-Filmemacher von »Unsere Mütter, unsere Väter« bezogen, der gemeint hatte, er wolle damit »ein Generationengespräch« einleiten: »Normalerweise sind die Leute, um die es dort ging, heute über 90. In diesem Alter ringt man meist mehr nach Luft als nach Worten für solch ein Gespräch.« Nun denn: Von Atemnot war nichts zu merken, als uns die Schriftstellerin Elfriede Brüning, immerhin 102 Jahre alt, eingangs live ihren Augenzeugenbericht von der Bücherverbrennung in Berlin vortrug. Und auch Kurt Pätzold soll ja schon die 80 überschritten haben. Vielleicht geht es einfach darum, wer sich mit wem auf solch ein »Generationengespräch« einlässt.

»Das Jahr 1933 – Vorgeschichte, Geschichte und Geschichtsbild«: Die Einlader hatten sich viel vorgenommen für einen Abend und einen knappen Tag. Dicht gedrängt die Referate und Diskussionsblöcke. Zum 30. Januar 1933 und zu den Folgen, die mit dem Tag der Machtübernahme der Nazis in Deutschland meist unverzüglich einsetzten.

Untersucht werden sollte, woher und von wem sie kam, die »Lizenz zum Terror«, die der Geschichtspolitischen Konferenz der VVN-BdA am 28. und 29. Juni in der Berliner Humboldt-Universität den Haupttitel gab. Oder, noch präziser, wie es Kurt Pätzold im Eröffnungsreferat auf den Nenner brachte: »Wer wollte den Tag in die Geschichte bringen – und wer hat ihn nicht verhindern können?«

Beim ersten Teil dieser Frage konnten sich die Referenten der Zustimmung des Publikums weitgehend sicher sein. Die Überschriften der Themenkomplexe: »Ein Führer wird gesucht. Gesellschaftliche Kräfte für Hitler« (Referent Otto Köhler; Hannes Heer, der mit ihm diesen Part übernommen hatte, musste leider aus gesundheitlichen Gründen absagen) und »Eine Demokratie schafft sich ab. Zur Rolle der bürgerlichen Parteien« (Ludwig Elm und Alexander Bahar).

Bei der »Schlussrunde« unter der Überschrift »Die Spaltung wurde erst im KZ überwunden. Niederlage und Widerstand der organisierten Arbeiterbewegung« (es referierten Klaus Kinner und Stephan Stracke), ging es manchen Anwesenden – Kinners kritische Ausführungen über die Politik der KPD vor und nach dem Jahr 1933 betreffend – doch spürbar ans »Eingemachte«. Aber auch hier zeigte sich, wie im gesamten Konferenzverlauf, dass es möglich ist, Kontroverses zu benennen und zu belegen und Widersprüche letztlich auch im Raum stehen zu lassen, ohne Gemeinsames aus den Augen zu verlieren.

Spätestens dieser Themenkomplex überzeugte mich vollends vom Konzept der (bislang) zweiten VVN-Geschichtskonferenz. Wurde doch versucht, mittels der »Doppelreferate« zu den einzelnen Themenbereichen ältere und jüngere Historiker und Publizisten zusammen zu spannen, unterschiedlichen Forschungsansätzen und -schwerpunkten Raum zu geben. In Sachen KPD-Politik bedeutete das, dass wir uns zum einen mit Beschlüssen und Dokumenten eines Parteiapparates und dessen führenden Persönlichkeiten auseinandersetzen mussten, zum anderen gleich danach aber auch mit der regionalen Praxis (am Beispiel Wuppertal und Velbert), mit dem konkreten Handeln von Menschen in Industriebetrieben nach der faschistischen Machtübernahme.

Wo die Plenums-Wertungen weniger kontrovers waren, bei den Darstellungen »bürgerlicher« Hilfestellung für die NS-Machtübernahme, gab es in den Diskussionen dennoch auch die Mahnung, manches differenzierter zu sehen, zum anderen aber auch viele Ergänzungen zu den aufgeführten Beispielen. Dafür, dass der »Gegenwartsbezug« nicht verloren ging, sorgte Otto Köhler mit einer Fülle von Beispielen aus Nachkriegsbiographien und -karrieren von NS-Helfern und -tätern. Früchte jahrzehntelanger publizistischer Recherche- und Veröffentlichungsarbeit, die bis heute unverzichtbar geblieben sind und deren Autor es auch als Vortragender immer noch versteht, ohne laut zu werden schönste polemischen Pointen zu setzen.

Lehrreich war auch, den »jüngeren« Referenten in ihre Spezialgebiete zu folgen. Am Eröffnungsabend kam neben Kurt Pätzold beim Themenbereich »Rassenkampf statt Klassenkampf. Ideologische und politische Grundlagen der Massengefolgschaft« Sven Fritz zu Wort. Sein Forschungsschwerpunkt ist das »Völkische«: Richard Wagner, Bayreuth und das Drumherum hat er im Blick, hat an der dort am Hügel zu sehenden Ausstellung »Verstummte Stimmen. Vertreibung der Juden aus den Festspielen« mitgewirkt. Sein Forschungsschwerpunkt ist der Wagner-Schwiegersohn und einstige Bestseller-Autor (»Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts«) Houston Stewart Chamberlain. Fritz sieht ihn als rassistischen Stichwortgeber von der Zeit Wilhelms II. bis zu den Nazis, den er stärker ins öffentliche Blickfeld rücken will.

Oder Alexander Bahar: In seinem Referat ging es um den »Preußenschlag« vom Jahr 1932, den »kalten Staatsstreich« der Reichskanzler Franz von Papen zum »Reichsverweser« von Preußen macht, der ihn die dortige SPD-Regierung absetzen lässt, ohne dass ihm von den Betroffenen nennenswerter Widerstand entgegengesetzt wird. Womit schon vor 1933 mit der Wahl von Hermann Göhring zum Reichstagspräsidenten den Nazis der Weg zur Machtübernahme bereitet wird. Bahars Schwerpunktthema, der Reichstagsbrand, dessen Täter und Nutznießer, wurde ebenfalls thematisiert und viele unterzeichneten die Petition zur Wiederaufnahme der Untersuchungen.