Mädchen mit Akkordeon

geschrieben von Paola Giaculli

11. September 2013

Ein Echo auf Esther Béjaranos Italien-Tournee

 

Tod und Leiden hat sie mit Musik in Auschwitz begleitet. Die Musik rettet sie und wird zum Boten des Friedens und der Freiheit. Die jüdische Künstlerin Esther Béjarano überlebte die Hölle von Auschwitz als Mitglied des dortigen Orchesters und engagierte sich seitdem für Antifaschismus, Toleranz und gegen Rassismus. »Ein russischer Soldat kam mit einem riesigen Bild von Hitler und stellte es in die Mitte des Marktplatzes (…). Ein amerikanischer Soldat und ein russischer Soldat setzten es in Flammen (…), die Soldaten und die KZ-Mädchen tanzten, und ich spielte dabei Akkordeon. Dieses Bild werde ich niemals vergessen«. Das erzählt Esther im Buch »La ragazza con la fisarmonica«, das Mädchen mit dem Akkordeon, das in Italien letzten Januar erschienen ist*. Das Leben dieser mutigen Frau wird durch eine interessante Mischung von eigenen Erinnerungen aus einem dreißig Jahre alten Manuskript** und einem Gespräch mit der Journalistin Antonella Romeo, mit der Leidenschaft und dem Engagement beschildert, die Esther Béjarano immer gekennzeichnet haben.

Die Ehrenvorsitzende der VVN-BdA Esther Béjarano wurde nach Turin 2011 anlässlich des Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus eingeladen, um sie dem Publikum und den engagierten Menschen in Italien bekannt zu machen. Die Initiative nahm Maria Antonia de Libero vom Goethe-Institut in Turin, und sie wurde mit Begeisterung vom Komitee Resistenza e Costituzione vom Regionalrat Piemont und Turin und vom Institut für die Geschichte des Widerstandes unterstützt. Für Esther hatten sie eine Piemont-Tour mit ihren Kindern Edna und Joram und der multikulturellen Hip-Hop-Band organisiert, mit der sie seit Jahren auftritt. Dort kam die Journalistin Romeo zur Idee, ein Buch über sie und ihr Leben, vor allem ihr Engagement zu schreiben. Sie konnte gleich die unermüdliche Esther für dieses Projekt gewinnen.

Nach langem Suchen wurde das gelbseitige Manuskript aus einem Schrank herausgekramt, als sie bei ihr zuhause in Hamburg besuchte. Nach mehreren Gesprächen entstand das spannende Buch, in dem Vergangenheit und Gegenwart als Ermahnung für die Zukunft dargestellt werden. Auch die deutsche Widervereinigung und der Nahostkonflikt sind für Esther kein Tabuthema. Das erste Teil des Buches berichtet über die Verfolgung, die Schicksale der Familienangehörigen, ihre schrecklichen Erlebnisse in Auschwitz, und wie sie nie die Hoffnung verloren hat. Sie wechselte von Deutschland nach Palästina und dann von Israel nach Deutschland zurück. Aber von Heimat konnte nirgendwo die Rede sein. In Israel wurden Kommunisten diskriminiert, Arabern den Krieg erklärt. In Deutschland muss sie mit Erschrecken erleben, dass es auch nach dem Krieg so viele (unbehelligte) Nazis und so viel Rassismus gab. Hier engagierte sich Esther politisch und gründete das Auschwitz-Komitee. Laut Esther würden die Widerstandskämpferinnen gegen den Nationalsozialismus und dessen politisch Verfolgte nicht geehrt, wie es sein sollte. »Wenn man hier vom Widerstand spricht, denkt man an die Generäle, die Hitler umbringen wollten. Die waren aber von Anfang an auf seiner Seite gewesen!« Inzwischen richtet sich der Hass in Deutschland gegen Muslime: »Früher waren die Juden der Feind, jetzt sind es die Muslime. Hier hat sich nicht viel geändert. Aber ich bin ein politisch engagierter Mensch und will gegen diese Zustände kämpfen«.

Zu diesem spannenden Buch gehört auch eine DVD mit einem Film von Elena Valsania zum Interview mit der Künstlerin, und den schönen Bildern deren Auftritte in Italien, wo sie auch die Menschen mit antifaschistischen Volksliedern aus unterschiedlichen Kulturen begeistert hat. Auch in Italien schätzt man ihr Engagement im Dienst der Aufklärung, vor allem der Jugend. »Ich kann einfach nicht zuhause sitzen bleiben. Ich muss was tun«, sagt die fast 89-jährige Esther. »Ich muss handeln, und wenn ich das mit der Musik tun kann, dann bin ich glücklich«. Eine deutsche Ausgabe soll bald erscheinen.