Der Pferdeblick

geschrieben von Thomas Willms

18. November 2013

Ein pazifistisches Puppentheater

Das Berliner »Theater des Westens« ist bekannt für seine gut besuchten, aber nicht gerade preiswerten Musical- und Showaufführungen. Auch Musical-Abstinenzler kommen um sein Programm nicht herum, denn seine Plakate hängen regelmäßig in der ganzen Innenstadt. Neuerdings wird mit einem Pferdekopf geworben. Blickt man ihm ins Auge, bekommt man eine Ahnung, worum es geht. Es ist der erste Weltkrieg, der sich in dem braunen Pferdeauge spiegelt.

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Das Plakat ist ein wenig irreführend, denn das Foto stammt aus der Verfilmung des Stoffes. Echte Pferde gibt es aber auf der Bühne nicht, sondern Puppen. Aber was heißt schon Puppen: Kriegspferd Joey wird durch drei Puppenspieler belebt, die aus der Faschingsnummer »zwei Menschen im Pferdekostüm« hohe Kunst machen. Der lebensgroße Joey läuft, trabt, frisst, wackelt mit Schwanz, Kopf und Ohren, pflügt den Acker, zieht einen Wagen und wird geritten. Menschen kriechen Joey unter die Haut und erfahren seine Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten. Die Puppenspieler sind dem Zuschauer nur halb verborgen, so dass diese mit ihnen und damit dem Pferd mitfühlen. Sie erfahren Liebe und Fürsorge und schrecken mit ihm zurück vor der unverständlichen Gewalt der Menschen.

Das Theaterstück nimmt das Pferd sehr ernst, zeigt aber auch, wie weit weg unsere Welt von der der Bauernhof-Pferde ist. Kein echtes Pferd ist so dynamisch wie Joey und die anderen Bühnenpferde.

Michael Morpurgo, Autor der Romanvorlage, schrieb am 20.9. im »Telegraph« über seine Überraschung, als das New London Theatre ihm 2006 vorschlug aus seinem Jugendbuchklassiker von 1982 ein Theaterstück zu machen. Widerstrebend willigte er ein, um dann den ungeheuren Erfolg des Puppen-Theaters in der englischsprachigen Welt zu verfolgen. Morpurgo schrieb weiter angesichts der ersten Aufführung auf Deutsch: »Hundert Jahre nachdem deutsche Soldaten marschierten, um in Frankreich und Belgien einzufallen, … wird das britische Stück in Berlin von deutschen Schauspielern aufgeführt, ein Stück in dem es vor allem um das universale Streben nach Frieden und Versöhnung geht. … In Berlin nennt man das Stück ›Gefährten‹. Wir sind jetzt alle Gefährten. Es wird auch Zeit.«

Das ist auch der idealistische Ton des Romans, der nicht nach Tätern fragt. »War Horse« ist ein Jugendbuch, das man trotz seiner Schwächen in einem Stück liest. Es ist die Geschichte des Pferdes Joey, das im Ersten Weltkrieg an der Westfront wider alle Wahrscheinlichkeit von der englischen auf die deutsche Seite und wieder zurück gelangt. Es ist verfasst aus Joeys Sicht, nur dass Joey arg menschlich denkt. Er beurteilt die Menschen danach, ob sie gut zu Pferden sind oder nicht. Da ist es einerlei, ob es sich um Engländer, Deutsche oder Franzosen handelt. Das unwahrscheinliche Glück Joeys macht ihn zum Hoffnungsträger der verzweifelnden Menschen, die doch ebenso wie er davon kommen möchten. In die Pflege des Pferdes flüchten sich besonders jene, die am wenigsten in der Lage sind, sich in die Unmenschlichkeit der Umstände einzufügen; untergehen werden sie trotzdem.

Das wahre Schicksal der Pferde deutet Morpurgo nur gnädig an und auf ihr inneres Erleben lässt der Autor sich nicht wirklich ein. Es hätte sonst auch kein Jugendbuch werden können: Zwischen 1914 und 1918 starben etwa zehn Millionen dieser großen Tiere, für die Elend, Lärm, Konfusion, Verwundung und Tod vollkommen angsteinflößend und unverständlich gewesen sein müssen.

Das Puppenspiel für die Massen ist hier wahrer und beunruhigender als Roman und Spielfilm, weil es ohne Worte wirkt. Ein eindrucksvolles Kunstwerk.