Priebke, Kappler und Co.

geschrieben von Hans Canjé

28. November 2013

30 in Italien verurteilte Kriegsverbrecher sind bis heute frei

 

Nun also ist mit Erich Priebke am 11. Oktober 2013 den Rechten in der Bundesrepublik eine Leuchtfigur abhanden gekommen. Einer »der anständigsten Männer seiner Generation« ließ Holger Apfel, der Vorsitzende der neofaschistischen NPD verlauten. Das Wort »Kriegsverbrecher« mag er nicht. Er nennt ihn den »letzten Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges«, der nun »zur großen Armee abberufen« worden ist. Noch ein pathetisches »Möge er nun die Freiheit haben, die ihm bis zuletzt versagt blieb« hinterher, garniert mit einem Spruch aus dem braunen Schatzkästlein: »Eins weiß ich: Ewig lebt der Toten Tatenruhm« Er war, wie die Jungen Nationaldemokraten, die Nachwuchskämpen Apfels, es beim Heimabend gelernt haben, »aus anderem Holz geschnitzt«. Als sie ihn zum 100. Geburtstag in seinem römischen Quartier besuchten, trafen sie »einen ungebrochen Deutschen an, dessen Standhaftigkeit beeindruckend ist« und der ihnen sein Lebensmotto mit auf den Weg gab: »Niemals aufgeben«

Um 69 Jahre hat er sie überlebt, die 335 italienischen Frauen und Männer, an deren Ermordung in den Ardeatinischen Höhlen nahe Rom er am 24. März 1944 aktiv teilgenommen hatte. Penibel führte er die Liste der für den Tod von 33 deutschen Soldaten als Geiseln festgenommenen Frauen und Männer.

Katholische Würdenträger in Rom verhalfen ihm nach 1945 zu einem Reisepass auf den Namen Otto Pape. Damit gelang ihm, wie vielen anderen Kriegsverbrechern, die Flucht über die »Rattenlinie« nach Argentinien. Wikipedia vermerkt über seine argentinische Zeit: »Auch in der deutschen Botschaft wurde Stillschweigen über seine Kriegsverbrechen bewahrt.« 1952 erhielt er hier, wie »Die Welt« am17. Oktober berichtete, wieder einen deutschen Pass. Argentinien lieferte ihn später an Italien aus, wo er zu lebenslanger Haft – später auf »lockeren« Hausarrest reduziert – verurteilt wurde.

Priebke war in Rom »der zweite Mann hinter Kappler«. Herbert Kappler war deutscher Polizeichef in Rom. Er hatte das Massaker in den Felsenhöhlen nahe Rom angeordnet. Um ein Beispiel zu geben, erschossen er und Mitglieder seines engeren Stabes, dazu zählte Priebke, die ersten Geiseln selbst. Im Juni 1948 verurteilte ihn ein Militärgericht zu lebenslanger Haft. Sowohl der Bundespräsident als auch der Bundeskanzler, der Bundesaußenminister, und die Spitzen der katholischen und evangelischen Kirchen richteten Gnadengesuche an die italienische Regierung. Nachdem Kappler 1977 wegen einer Erkrankung in ein römisches Militärkrankenhaus verlegt worden war, ist er kurz darauf, am 15. August auf bis heute nicht endgültig geklärte Weise in die Bundesrepublik »geflohen«. Am 9. Februar 1978 starb er im niedersächsischen Soltau. Zu seiner Beisetzung waren 800 Neonazis aufmarschiert.

Die Namen Priebke (deutscher Pass in Argentinien) und Kappler (Gnadengesuche deutscher Spitzenpolitiker) rufen noch einmal den großherzigen Umgang der offiziellen Bundesrepublik mit faschistischen Tätern in Erinnerung. Für viele galt, was die Wochenzeitung »Die Zeit » im Juli 2009 schrieb: »Die NS-Verbrecher entgingen ihrer Strafe, weil für die westlichen Siegermächte wie für die ersten Bundesregierungen ab 1945 der Kalte Krieg rasch wichtiger wurde als die Aufarbeitung des gerade beendeten. (…) Die Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen wurde erst 1958 gegründet; auch dann sahen viele in Politik, Justiz und Veraltung ihre Arbeit als Nestbeschmutzung an und behinderten sie, wo sie nur konnten (…) Zudem nahmen die ersten Bundesregierungen Rücksicht auf Verstrickungen eigener Leute.«

Als sich die italienischen Verfolgungsbehörden 1964 auf die Suche nach deutschen Kriegsverbrechern während der Besatzungszeit machten, waren, so der Staatsanwalt am Militärgerichtshof in Rom De Paolis nach dem Tod Priebkes, Hunderte ehemalige NS-Offiziere noch am Leben. »Bis vor drei Jahren waren es noch 60. Jetzt bleiben nur noch 30 verurteilte Kriegsverbrecher übrig. 30 Priebkes, die wegen schrecklicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Haft sitzen sollten und trotzdem noch auf freiem Fuß sind.«