»Deitsch un frei wolln mer sei«

geschrieben von Kerstin Köditz

23. Januar 2014

Die NPD und die neue rassistische Welle in Sachsen

 

Führerlos. Eine Führerpartei ohne Führer. Ausgebrannt sei er, so die parteioffizielle Version. Der Apfel ist vom Stamm gefallen. Das Bild, bei dem der Lotse von Bord geht, könnte falscher nicht sein. Den Kurs des Schiffes NPD hatte Holger Apfel schon lange nicht mehr bestimmt. Und auf den Gedanken, ihm Bismarck’sche Größe zuzuweisen, wären selbst seine engsten Gefolgsleute nie gekommen.

Apfels Vorgänger will sein Nachfolger werden, will die zerstrittenen Reihen wieder einen. »Der deutschen Zwietracht mitten ins Herz« heißt folglich auch das Buch, das er unlängst im vogtländischen Theuma präsentierte. Doch werden seine Kameraden wirklich schon vergessen haben, dass sie ihm zu einem guten Teil ihre Finanzmisere zu verdanken haben? Auch Karl Richter, Stellvertreter Apfels, fühlt sich zum Führer berufen, zumindest zum Listenführer bei der Europawahl. Doch er ist noch kurz von Apfels Fall als Chef der Parteizeitung abberufen worden.

Rassistische Demonstration in Schneeberg.  Foto: Marcus Fischer

Rassistische Demonstration in Schneeberg.
Foto: Marcus Fischer

Führerlos, mittellos, chancenlos? Einen erheblichen Teil der Mitglieder ist man ohnehin los. In Sachsen desertierte in den letzten Jahren mehr als ein Viertel des Bestands, oftmals Mandatsträger und Funktionäre. Die Zeichen stehen also auf Sturm in Orkanstärke.

Bis vor wenigen Wochen wäre auch ich davon ausgegangen, dass dieser Sturm die NPD hinwegweht. Ganz ohne Verbotsverfahren. Doch, um im Bild zu bleiben, dann kam die Welle. Die rassistische Welle. Als die ersten Ausläufer die Kleinstadt Gröditz erreichten, dachte sich noch niemand etwas. Im Sommer 2012 wurde geplant, rund 100 afrikanische Flüchtlinge dort in Containern unterzubringen. Prompt druckte die NPD Flyer, initiierte eine Unterschriftensammlung. Die Stadt zog nach – ebenfalls mit einer Unterschriftensammlung. Eine Woche später hatten sich im Rathaus fast 2.100 der 7.300 Einwohner eingetragen. Ganze elf davon sprachen sich für die Aufnahme von Flüchtlingen aus.

Riesa, die in der Nähe gelegene Stadt mit NPD-Stadträten und dem Sitz der »Deutschen Stimme«, bot an, 50 der für Gröditz vorgesehenen Asylsuchenden aufzunehmen. Danach schwappte der Protest so hoch, dass Frank Richter, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung, als Mediator zu Hilfe geholt wurde. Der versucht, die Wogen zu glätten. Inzwischen auch in Chemnitz und in Schneeberg. Es handele sich bei den Protestierenden, so seine öffentlichen Äußerungen, nicht um Rassisten, nur um besorgte Bürger.

Kaum jemand redet in Chemnitz noch davon, dass das Jahr mit einem Anschlag auf das Erstaufnahmelager für Flüchtlinge begonnen hatte. Fast jeder aber weiß von den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen einigen Dutzend der dort zwangsweise eingepfercht Lebenden. Hier ist es nicht die NPD, die auf der rassistischen Welle surft, sondern die örtliche rechte Wählergemeinschaft »Pro Chemnitz.DSU« unter dem ehemaligen stellvertretenden REP-Bundesvorsitzenden Martin Kohlmann. Einer seiner Mitstreiter im Stadtrat gehört inzwischen dem Kreisvorstand der Alternative für Deutschland an.

Nein, es bedarf nicht der NPD, um rassistische Proteste in Gang zu setzen. Rassistisch ist ein erheblicher Anteil der Bevölkerung ohnehin. Aber, das Beispiel Schneeberg unterstrich dies nachdrücklich, dort, wo die NPD vor Ort ist, versteht sie es, das rassistische Potenzial für sich zu nutzen. Und wenn der Fackelmarsch in das harmlos klingende »Lichtellauf« umbenannt wird, dann spielen auch die Behörden mit. Die mobilisierenden Flugblätter sind durch die Facebookgruppe abgelöst worden. In den neunziger Jahren haben die Nazis Brandsätze auf die Heime geworfen. In Schneeberg bringt der örtliche NPD-Stadtrat Kinderspielzeug ins Heim. Und wo die Nazis so viel Kreide gefressen haben, dass sie statt Wölfe wie Schafe wirken, da folgt auch die Bevölkerung wie Schafe. Zwischen 1.500 und 2.500 Teilnehmende an den drei Demonstrationen waren es. Weit mehr als zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung der Stadt. »Deitsch un frei wolln mer sei« wurde gesungen, die Hymne der Region, geschrieben vom völkischen Heimatdichter Anton Günther.

Wie 2004, zur Zeit der Massenproteste gegen Hartz IV, sieht sich die NPD als Vollstreckerin des Volkswillens und nutzt Rassismus und völkischen Nationalismus zur Mobilisierung. Und der Erfolg führt dazu, dass man glaubt, nunmehr auf die Kreide verzichten zu können. Als in der Kleinstadt Rötha Asylsuchende in einem leer stehenden Hotel untergebracht werden sollten, lautete eines der ersten Postings auf der umgehend eingerichteten Facebook-Seite: »Das wird das neue Sonnenblumenhaus.« Die Seite hat über 800 Likes. Rötha hat knapp 4.000 Einwohner. Die sächsische NPD hat im letzten Vierteljahr rund 50 neue Mitglieder gewonnen.