Ein Heilmittel für Neonazis?

geschrieben von Thomas Willms

9. Juli 2014

Die Ausstellung »7 Milliarden andere«

 

Das Erweckungserlebnis ereilte den bekannten französischen Naturfilmer Yann Arthus-Bertrand 2003 durch eine Hubschrauberpanne. Statt um die Welt zu jetten und die Welt in faszinierenden Bildern von oben abzulichten, saß er nun in einem malischen Wüstendorf fest. Vernünftigerweise beschloss er, sich nicht zu langweilen, sondern sich mit einem Dorfbewohner zu unterhalten und zwar über alles was das Leben ausmacht: Hoffnungen, Sorgen, Wünsche, Erfahrungen, Arbeit, Älterwerden, die Kinder, Eltern und Ehepartner usw. usf.

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Wie wäre es, wenn man sich mit allen Menschen der Erde ernsthaft unterhalten würde, dachte der Mann sich und ein Jahrzehnt später ist das sinngemäß auch geschehen. Sein Team führte in 84 Ländern 6000 Interviews mit den unterschiedlichsten Menschen zu den immer gleichen 45 Fragen durch: z.B. einem brasilianischen Fischer, einer chinesischen Ladenbesitzerin oder einem afghanischen Bauern. Die Ergebnisse hat die das Projekt tragende Stiftung »Good Planet Foundation« auf einer -großen Homepage, in Büchern und einer Ausstellung zusammengetragen oder man könnte sagen: komponiert.

Im Frankfurter Senckenberg-Museum zeigt die Stiftung bis zum September das Herzstück des Projektes. Es handelt sich um eine etwa halbstündige Video-Installation auf einer17-Meter-Leinwand. Man sieht eine große Menge sprechender Menschen in Splitscreen-Technik, von denen jeweils einzelne für Sequenzen vergrößert werden und deren Ton eingeblendet wird, Deutsch und Englisch untertitelt. Das Ergebnis lässt die Besucher/innen, die vielleicht eher wegen der Saurier ins Senckenberg kommen, auf den harten Bänken regelrecht festkleben.

Die Menschen der Welt sind weiblicher, dunkelhäutiger, asiatischer, vielsprachiger und ärmer als man allgemein in Deutschland so denkt. Das ist schon einmal der erste Eindruck. Und gleich darauf folgt, dass diese Menschen fröhlicher, optimistischer und klüger sind als die teilnehmenden europäischen und US-amerikanischen Männer. Aber das allein reicht nicht, um die Faszination dieser Installation zu erklären. Stärker als alle Programme, Erklärungen, Verfassungen und was es sonst so gibt, vermitteln die im Dialog entstandenen Erzählungen aus allen Ecken der Welt unwiderlegbar folgende Erkenntnis: Mögen die Lebensumstände noch so unterschiedlich sein – alle Menschen sind prinzipiell gleich, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft und Beruf.

Deutlich wird außerdem, dass das Leben aller Planetenbewohner mittlerweile unaufhebbar miteinander verwoben ist, dass es keine Exklaven mehr gibt. Und damit sind Hoffnungen verbunden – für den malischen Kamelhirten, der in seinem Gewand nach dem Handy angelt ebenso wie für die thailändische Prostituierte, die die Schulbildung ihrer Kinder finanziert oder die osteuropäische Roma-Frau, die freudestrahlend vor einer Baracke sitzt – unser erstes Haus!

In das elektrisierende Feel-Good-Orchester sind die Statements eines ehemaligen US-Soldaten und eines Völkermörders aus Ruanda als Kontrast eingestreut. So wie die möchte man nicht sein.

Und das kann den Besucher nachträglich darauf bringen, dass die 6000 Personen-Stichprobe natürlich nicht repräsentativ ist. Es sind nämlich solche Menschen, die ein Interesse daran haben, sich anderen (in diesem Fall französischen Interviewern) zu öffnen und teilhaben zu lassen an ihrem Leben. Es wäre auch eine weltweite 6000-Personen-Stichprobe von Rassisten, Nationalisten, Fanatikern, Frauenhassern und anderen Misanthropen denkbar. Vorstellen möchte man sich das nicht.