Das Erbe angenommen

geschrieben von Marek Winter

18. Juli 2014

Doch die Aufarbeitung der Tiso-Diktatur lässt auf sich warten

 

Wenn über den Umgang mit der Geschichte des Widerstandes gegen die deutschen Besatzer und ihre einheimischen Kollaborateure in Mittel- und Osteuropa nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Regime, in denen das Gedenken an diesen Widerstandskampf Teil der Staatsdoktrin war, diskutiert wird, dann stehen meist jene Länder im Fokus, in denen diese Erinnerung heute verdrängt und negiert wird und sich die dominierenden politischen Kräfte positiv auf nationalistische Bewegungen der Zwischenkriegszeit beziehen, die während der deutschen Besatzung ganz oder teilweise mit dieser kollaborierten. Daneben gibt es aber auch einige Länder, in denen der antifaschistische Partisanenkampf weiterhin, wenn auch in modifizierter Form, Teil der offiziellen nationalen Erzählung ist. Dies ist vor allem in jenen Ländern der Fall, in denen der Befreiungskampf gegen die Deutschen ein unverzichtbarer Teil des Prozesses der Nations- und Nationalstaatsbildung ist. Hierzu gehört die Slowakei. Obwohl nach 1989 aus der Emigration zurückkehrende Anhänger der Tiso-Diktatur den Slowakischen Nationalaufstand als Verrat an der Nation zu diffamieren suchten, Apologeten des Tiso-Regimes immer mal wieder in slowakischen Regierungen der letzten 20 Jahre saßen und eine wichtige Rolle in der Hierarchie der mächtigen katholischen Kirche spielen, stellte sich die unabhängige Slowakische Republik nach 1993 in die Kontinuität der aufständischen Slowakei und nicht in die der Tiso-Slowakei.

Denkmal des Slowakischen Nationalaufstands  in Banská Bystrica. Foto: Anna Regelsberger

Denkmal des Slowakischen Nationalaufstands in Banská Bystrica. Foto: Anna Regelsberger

Die heutige Slowakische Republik nahm das Erbe des Nationalaufstandes an, weil dieser die Legitimation ihrer staatlichen Existenz in den aktuellen Grenzen darstellt. Die faschistische Slowakei hatte in den durch den Ersten Wiener Schiedsspruch vom 2.11.1938 festgesetzten Grenzen existiert, ohne die heutige Südslowakei, die von Ungarn annektiert war. Die Alliierten erkannten 1944 die slowakischen Aufständischen als Teil der Antihitlerkoalition an und nach der Befreiung wurde die Südslowakei wieder in den tschechoslowakischen Staat eingegliedert. Dass sich Dank des Nationalaufstandes die Slowakei auf der Seite der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges wiederfand, ermöglichte nach 1945 und bis heute, sich um eine kritische und umfassende Aufarbeitung der Tiso-Diktatur herumzudrücken. Dies wird besonders am Beispiel der Situation der slowakischen Roma deutlich.

In der Slowakei lebten 1939 schätzungsweise ca. 100.000 Roma. Die den deutschen Marionettenstaat regierende Volkspartei, 1905 von Andrej Hlinka gegründet, war aggressiv antisemitisch und antiziganistisch. Schrittweise wurden seit 1939 Juden und Roma aller politischen und sozialen Rechte beraubt, an öffentlichen Plätzen fand sich z.B. der Hinweis: »Juden, Zigeunern und Hunden Zutritt verboten«. Am 20. April 1941 erließ das slowakische Innenministerium die Bekanntmachung Nr. 163/1941 »Über die Regelung einiger Verhältnisse der Zigeuner«. Diese verpflichtete die nomadisierenden Roma, binnen acht Tagen in ihre Heimatgemeinden zurückzukehren, die sie fortan nicht mehr verlassen durften, und zwang sie Wagen und Zugpferde zu verkaufen. Die sesshaften Roma (die große Mehrheit), die ihre Wohnstätten in der Nähe öffentlicher Wege hatten, mussten diese aufgeben und sich an entlegenen, von den Gemeinden bestimmten Plätzen niederlassen. Obwohl neben den Juden die Roma zu den Hauptleidtragenden der Niederschlagung des Aufstandes gehörten, viele Roma aufgrund des Verdachtes den Aufstand unterstützt zu haben ermordet wurden, wurde die Ausgrenzung der Roma, ihre Vertreibung und Verbannung aus den Ortschaften nach der Befreiung der Slowakei nicht rückgängig gemacht. Die Romasiedlungen außerhalb der Städte blieben bestehen. Erst im Zuge der Industrialisierung der Slowakei zogen Roma wieder in die Städte. Als jedoch die slowakische Industrie nach der Wende zusammenbrach kehrten viele Roma, die als erste entlassen wurden und seither kaum eine Chance auf dem slowakischen Arbeitsmarkt haben, in -diese Ansiedlungen zurück, wo sie heute ein elendes Leben fristen.