Rechtsruck in Europa

geschrieben von Martin Schirdewan

25. Juli 2014

Konzepte gegen einen neuen Nationalismus sind gefragt

 

Die Befürchtungen haben sich leider bestätigt. Am 25. Mai 2014 haben sich die Wählerinnen und Wähler in der Europäischen Union für einen starken Rechtsruck entschieden. Schockierende Spitzenwerte erzielten dabei die Parteien der äußersten Rechten in Frankreich (Front National mit 24,9 %), Dänemark (Dansk Folkeparti mit 26,6 %) und Großbritannien (UKIP 26,7 %). Deutlich verbessert oder auf hohem Niveau stabilisiert haben sich die Rechtsparteien in Österreich (FPÖ 19,7 %), Schweden (Schwedendemokraten 9,7%), Griechenland (Goldene Morgenröte 9,4 %), Finnland (Wahre Finnen 12,9 %) und Ungarn (Jobbik 14,7 %). Dass sich kein einheitliches Bild eines allgemeinen Rechtsrucks ergibt, liegt an den zeitgleichen Verlusten der Parteien der äußersten Rechten in den Niederlanden, Bulgarien, Belgien und Italien.

Dennoch werden im Gesamtergebnis die Faschisten, Neonazis, Rechtspopulisten und wohlstandchauvinistischen Europaskeptiker in großer Zahl zukünftig die Ressourcen, die ihnen das Europäische Parlament zur Verfügung stellt, nutzen, um von innen heraus anzugreifen, was als Antwort auf die katastrophale Politik ihrer ideologischen Vorväter und Vormütter entstanden ist.

Ein Treppenwitz der Geschichte? Ja und nein. Ja, eben weil sich in der EU mit der Ablehnung der EU und Rückbezug auf den Nationalstaat nehmend ein neuer Nationalismus ausbreitet, der die Demokratie in Europa vor die größte Herausforderung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges stellen dürfte. Scheitert die EU, droht auch das Projekt einer Friedensunion zu scheitern. Natürlich – und das sollte jede und jeder anerkennen – war die Gründungsgeschichte der Vorgängerorganisationen der EU durchaus neben dem Friedensmotiv immer auf das Engste mit ökonomischen Interessen verbunden. Gerade im Zuge der verheerenden internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise, die sich vor allem in den Ländern des europäischen Südens bemerkbar macht, sind nationale ökonomische Egoismen wieder verstärkt zum Bezugspunkt der politischen Debatte geworden. Die Parteien der äußersten Rechten laden diesen Diskurs mit meist unverhohlenem Rassismus auf. Ein Europa der (an den Nationalstaat gebundenen) Völker ist ihr Ziel. Dass es den Parteien der äußersten Rechten vorerst nicht gelungen ist, eine gemeinsame Fraktion zu bilden, verdeutlicht, dass es innerhalb dieses Lagers dennoch erhebliche inhaltliche und strategische Unterschiede zu geben scheint. Dazu in den kommenden Ausgaben der antifa mehr.

Und nein, es handelt sich um keinen Treppenwitz der Geschichte. Hier kehrt nicht als Farce zurück, was es einst schon gab. Vor den europäischen Antifaschist_innen steht nun die Aufgabe, sich mit einer hochmodernen extremen Rechten auseinanderzusetzen. Eine Rechte, die einerseits einen neoliberalen Kapitalismus predigt und befördert und andererseits einen grundsätzlich antiliberalen, antidemokratischen gesellschaftlichen Kurs fährt: gegen Migrantinnen und Migranten, gegen die Gleichstellung Homosexueller, gegen ein modernes Frauenbild, gegen alles und jede(n), die irgendwie anders sind. Und auf beiden Konfliktlinien sollten sich Antifaschisten den Rechten entgegenstellen. Im Kampf für eine solidarische europäische Gesellschaft, die die Kosten zur Bewältigung der Krise nicht auf die Schwächsten in Griechenland, Spanien, Portugal etc. abwälzt, sondern die Ursachen bekämpft. Und im Kampf für eine Gesellschaft, in der die würdevolle Existenz aller in Gleichberechtigung garantiert ist.

Abschließend ein Blick nach Deutschland: Mit dem NPD-Abgeordneten Udo Voigt ist erstmals ein wegen Volksverhetzung vorbestrafter deutscher Rechtsextremist in das Europäische Parlament eingezogen. Eine Schande! Mehr bleibt da nicht zu sagen. Und mit der AfD, die insgesamt sieben Abgeordnete in das EP entsendet und sich dort mit den britischen Tories zusammen geschlossen hat, hat die deutsche Euro- und Europafeindlichkeit eine neue Stimme gefunden.

Der Druck, den die AfD entfalten könnte, wirkt unmittelbar auf ihre politischen Konkurrenten. Einer der schrecklichsten Momente der Wahlkampagne der zurückliegenden Monate war die Aussage des Spitzenkandidaten der SPD, Martin Schulz, er sei ein – so wörtlich – »deutscher Patriot«. Na ja, wenn’s hilft…

Die Wahlen vom 25. Mai 2014 lehren: Solange die Ursachen der sozialen Zerklüftung Europas nicht behoben werden, solange wird die europäische Demokratie akut gefährdet sein durch erstarkende Rechtsaußenparteien. Es gilt der alte Brecht: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.