Naturfreunde im Widerstand

geschrieben von Ulrich Schneider

11. September 2014

Ein Lesebuch zur Arbeiterbewegungs-Geschichte 1933 bis 1945

 

Im Jahr 2015 können die Naturfreunde auf eine 120-jährige Organisationsgeschichte zurückblicken. Diese Vereinigung, im Umfeld der Arbeiterbewegung als Wander-, Kultur- und Touristikverein in Österreich gegründet, breitete sich schnell über die Schweiz und Deutschland in andere europäische Länder aus. Die Mitglieder strebten in die Natur, wo sie von den Mühen des Arbeitsalltags Kraft schöpfen konnten und Zeit zum Nachdenken hatten. Der Gruß »Berg frei« verkörperte dieses Gefühl der Ungebundenheit vom kapitalistischen Alltag. Der Touristikverein »Die Naturfreunde« verstand sich dabei immer auch politisch. Folgerichtig unterlagen die Organisation und seine Mitglieder schon 1923 im faschistischen Italien und 1933 im faschistischen Deutschland der politischen Verfolgung. Naturfreundehäuser und andere Einrichtungen, die mit dem Geld und viel Arbeit der Mitglieder geschaffen worden waren, wurden ab 1933 besetzt und von SA und HJ übernommen. All dies ist bekannt. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass auch viele Mitglieder der Naturfreunde aktiv im antifaschistischen Widerstand waren. Anlässlich des 80. Jahrestages der Unterdrückung der Naturfreunde-Organisation 1933 legte Bruno Klaus Lampasiak unter dem Titel »Naturfreund sein heißt Mensch sein« ein Lesebuch zu »Naturfreunde im Widerstand 1933 bis 1945« vor.

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In seinem einführenden Beitrag weist der Autor auf die Problematik hin: »Die meisten Naturfreunde haben Widerstand nicht in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Naturfreunde, sondern als Mitglieder und Funktionäre von politischen Parteien oder Jugendorganisationen geleistet.« (S.21), da die Naturfreunde eine typische »Drittorganisation« (nach Parteien und Gewerkschaften) war. Aber der von ihren Mitgliedern geleistete Widerstand strahlt auch auf die Organisation selbst zurück.

Dabei ist die Quellenbasis der Erforschung kompliziert. Selbst ein rein statistischer Überblick über Verhaftungen und Verurteilungen von Mitgliedern der Naturfreunde-Bewegung bleibt unvollständig, da die faschistischen Verfolger vor allem den parteipolitischen Hintergrund der jeweiligen Widerstandsgruppe registrierten. Bekannt ist aber, dass allein aus dem Landesverband Hessen 110 Mitglieder verurteilt wurden, von denen 40 im KZ und 70 in Gefängnissen einsaßen. Aus Sachsen ist die Verfolgung von Mitgliedern der Naturfreunde-Opposition in der »Vereinigten Kletterabteilung« (VKA), die die Flucht von Antifaschisten in die CSR ermöglichten und illegale Schriften ins Deutsche Reich schmuggelten, bekannt.

Das vorliegende Lesebuch ist in drei Kapitel gegliedert: Begegnungen, biographische Portraits und Widerstand in Ortsgruppen und Gauen, wobei der Geschichte der Naturfreunde in Österreich ein eigenes Kapitel gewidmet ist.

In den fünfzehn Begegnungen schildert der Verfasser, wie antifaschistische Politiker vor allem aus der Sozialdemokratie, z.B. Willy Brandt, Paul Löbe, Ernst Reuter oder Bruno Kreisky ihre Erfahrungen in die Naturfreunde-Organisation hineingetragen haben.

In den 29 Portraits, die zumeist auf Informationen aus den Ortsgruppen und Landesverbänden basieren, finden sich auch Naturfreunde, die mit der kommunistischen Richtung der Arbeiterorganisationen verbunden waren, z.B. Konrad Belz, Georg Elser, Alfred Hausser, Änne Salzmann, Lore Wolf und Rudolf Wunderlich. Dabei ist nicht zu übersehen, wie viele Mitglieder der Naturfreunde-Organisation sich nach 1945 der VVN angeschlossen haben, da dies ihrer Überzeugung für einen antifaschistischen Neubeginn entsprach.

In zwanzig Lokalstudien, die der Herausgeber Veröffentlichungen zur regionalen Geschichte der Naturfreunde entnehmen konnte, wird deutlich, dass Widerstand in vielen der damals 200 Ortsgruppen geleistet wurde. Gleichzeitig beklagt Lampasiak jedoch die schlechte Materiallage, da in vielen Festschriften und Chroniken die Zeit 1933 bis 1945 nur mit wenigen Worten erwähnt werde. Er verband damit die Hoffnung, dass dies als Anregung für weitere Gruppen dienen könne, »das eventuell noch vorhandene Material über die Zeit von 1933 bis 1945 zusammenzustellen.«

Insgesamt entstand mit dieser Sammlung von Lebenserinnerungen, Veröffentlichungen und Dokumenten ein eindrucksvolles Kaleidoskop des antifaschistischen Wirkens von Mitgliedern der Naturfreunde-Organisationen. Auch wenn Lampasiak an mehreren Stellen zurecht darauf hinweist, dass es auch bei den Naturfreunde Anpassungen an das NS-Regime gegeben habe, dieses Lesebuch dokumentiert eine Traditionslinie, auf die auch heutige Mitglieder der Naturfreunde mit Stolz zurückblicken können.