Gedanken zu Hans Lebrecht

12. November 2014

Von Moshe Zuckermann

 

Als im 19. Jahrhundert das von Nichtjuden geschaffene »jüdische Problem« den Juden zur Lösung vorgelegt wurde, entfalteten sich drei Strategien der Auseinandersetzung mit diesem für sie fremdbestimmten Ärgernis. Assimiliation war eine anvisierte Möglichkeit, der zufolge Juden sich in die sich heranbildende bürgerliche Gesellschaft ihres jeweiligen Residenzlandes integrieren sollten. Sozialismus begriff man als die Möglichkeit, die Emanzipation der Juden durch die allgemeine gesellschaftliche Befreiung des Menschen zu verwirklichen. Den Zionismus sah man als die herangereifte politische Möglichkeit einer nationalen Befreiung der dem modernen europäischen Antisemitismus zunehmend ausgesetzten Juden. Von selbst versteht sich, dass der Zionismus der Assimilation diametral entgegengestellt war. Er mochte sich hingegen dem Sozialismus verschwistern, beschritt aber letztlich doch den historischen Weg, der nicht nur den Sozialismus aus sich real ausmerzte, sondern auch erweisen sollte, dass er im Wesen mit dem universellen Befreiungsgedanken des Sozialismus unvereinbar ist. Konnte also ein Jude sich in seinem Leben sowohl einer Dimension der Assimilation, einem bestimmten Begriff des Zionismus und zugleich (und vor allem) dem Sozialismus, dem Kommunismus verpflichtet wissen?

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Hans Lebrecht war ein solcher Jude, wobei man sein Leben in den unterschiedlichen Wirksphären aus der Dynamik seiner Biographie begreifen muss. Er wurde von Deutschland verstoßen; dafür hatten die Nazis gesorgt. Und doch war er kulturell assimiliert genug, um Deutschland nicht (wie viele aus Deutschland nach Palästina vertriebenen Juden) den Rücken zu kehren. Er war auch Zionist genug, um – freilich notgedrungen – nach Palästina auszuwandern und sich dann in Israel nicht zuletzt beruflich (als Journalist) niederzulassen. Bei alledem war er aber gesinnungsmäßig primär aktiver Kommunist, und zwar in einem Land, das die Kommunisten aus der politisch etablierten Sphäre zu exkludieren pflegte (und noch immer pflegt): in Israel. Der Grund dafür lag nicht zuletzt darin, dass die Kommunistische Partei Israels die einzige in diesem Land war, die sich als Partei von gleichberechtigten israelischen Arabern und Juden verstand, eine Partei, die über Jahrzehnte zudem als erste die Errichtung eines souveränen palästinensischen Staates zum Ziel hatte und politisch vorantrieb. Dieses Ziel ist es auch, was Hans Lebrecht zum Mitglied von Uri Avnerys Gush Shalom hat werden lassen, der bedeutendsten aller außerparlamentarischen Organisationen und Bewegungen Israels, die die Versöhnung von Palästinensern und Israelis sowie den politischen Frieden zwischen ihnen zum Ziel hat.

Und es ist dies, was den Antifaschisten, den Widerstandskämpfer, kommunistischen Genossen und Friedensaktivisten Hans Lebrecht auch auf einer anderen Ebene zum paradigmatischen Vertreter eines anderen Judentums hat werden lassen – eines humanistischen Judentums, das die zionistische Unterdrückung eines anderen Volkes, den dieser innewohnenden Rassismus und die damit einhergehende Dehumanisierung des unsäglichen historischen Konflikts zwischen beiden Völkern grundsätzlich und unerbittlich bekämpft. Er war Jude genug, um sich nicht im selbstaufgebenden Sinn zu assimilieren; er war gleichwohl auch Jude genug, um sich nicht dem Irrweg des Zionismus, der das geworden ist, was sich im Nahostkonflikt manifestiert, zu verschreiben. Ein Judentum war es zudem, dem der Sozialismus Perspektive künftiger menschlicher Befreiung blieb. Ein leider zunehmend aussterbendes Judentum.