Holocausterinnerung

geschrieben von Thomas Willms

30. August 2015

Versuch einer Analyse aus wissenschaftlicher Perspektive

Die im rührigen transcript-Verlag erschienene literaturwissenschaftliche Dissertation von Kirstin Frieden mit dem vielversprechenden Titel »Neuverhandlungen des Holocaust – Mediale Transformationen des Gedächtnisparadigmas«beschäftigt sich mit zeitgenössischen unorthodoxen Ansätzen des sogenannten Erinnerungshandelns in Deutschland und enthält zahlreiche wichtige Anregungen und Ideen. Das Thema ist schwierig und das Werk verdient Respekt und Anerkennung. Dass daraus trotzdem kein knappes, kritisches und gut lesbares Buch (besser zwei oder drei) geworden ist, liegt wie so oft am geisteswissenschaftlichen Betrieb. Der verlangt ein fürchterliches Dissertations-Gedöns. Wenn die darzubietende Theorie wie in diesem Fall dann auch noch aus der postmodernen Schwafelschule Aleida Assmanns besteht, wird dem Leser wirklich mächtig Geduld abverlangt, ohne dass er etwas davon hätte. Dem theoretischen Ansatz entsprechend kennt die Autorin im weiteren denn auch keine politischen Interessen und Interessenten an der Geschichte, als würde die ganze deutsche Gesellschaft nur darauf warten, ganz toll der Nazi-Opfer gedenken zu können.

Kirstin Frieden: Neuverhandlungen des Holocaust. Mediale Transformationen des Gedächtnisparadigmas, transcript-Verlag 2014, 368 Seiten, 29,95 €

Kirstin Frieden: Neuverhandlungen des Holocaust. Mediale Transformationen des Gedächtnisparadigmas, transcript-Verlag 2014, 368 Seiten, 29,95 €

Ausgegangen wird in der Arbeit von vier zentralen Veränderungsprozessen: dem Generationswechsel, einem Gedächtnis/Medienwechsel, einem Sprachwechsel und einem gesellschaftlichen Wandel weg von festen Weltvorstellungen hin zu sich ständig ändernden Mix-Anschauungen. Die Autorin hat sich eine Querschnittsanalyse vorgenommen, in der sie untersucht, wie heute mit dem Thema NS-Verbrechen – womit stillschweigend eigentlich nur der Judenmord gemeint ist – umgegangen wird. Sie möchte deutschsprachige oder für den deutschsprachigen »Diskurs« wichtige Autorinnen und Autoren analysieren, die zudem innovativ sein sollen und für ein junges Publikum arbeiten. Dies tut sie für gleich für drei große Bereiche: Literatur, Performance-Kunst und Neue Medien. Das ist schlicht zuviel auf einmal. Im ersten, im engeren Sinne literaturwissenschaftlichen Teil, verteilt die Autorin freigiebig Watschen an das Gros der deutschen Gegenwartsautoren. Diese mögen gerechtfertigt sein, sind aber ebenso zu kurz begründet wie das Hohelied auf den jungen Autor Kevin Vennemann, nach dem gleich ein »Prinzip« benannt wird. Wenn man sich nicht selber an die NS-Geschichte erinnern kann wie Vennemann, dürfe und müsse man erfinden und Geschichten erzählen. Lyrisch und quasi-musikalisch sei der Autor und dabei radikal distanzlos. Die Form reflektiere den Inhalt, denn dieser – der NS-Judenmord – verweigere sich der konkreten Erzählung. Das hört sich schon spannend an, aber ist es auch so originell wie behauptet? Aus der »experimentellen Schreibweise« zu schließen, dass sich das Ganze an die jüngere Generation wende, ist eher unfreiwillig komisch. Menschen jenseits der 30 sind literarisch wohl ein bisschen blöd, heißt das nämlich. Ganz auf der Höhe der unbeständigen Gegenwart befindlich sieht die Autorin im zweiten Teil die Performance-Kunst mit dem zentralen Beispiel des Stückes »Dritte Generation. Work in Progress« von Yael Ronen. In diesem deutsch-israelisch-palästinensischen, ans Improvisations-Theater angelehnten, Stück wird offensichtlich mächtig gestritten und damit der Stoff der familiären Betroffenheiten »flüssig« und damit diskutierbar gemacht. Das würde man gerne einmal sehen. Aber angesichts der Tatsache, dass das Ganze aus einer Gruppentherapie entstanden ist – was sicher sehr verdienstvoll ist – stellt sich doch die Frage, ob nicht eher andere Disziplinen geeigneter zur Analyse wären als die Literaturwissenschaft.

Der dritte Teil der Arbeit – »Erinnerungskultur« in den Neuen Medien – macht noch einmal ein ganz neues großes Fass auf. Was wird auf youtube und ähnlichen Plattformen eigentlich geschichtspolitisch getrieben, fragt sich Frieden völlig zu Recht. Sie ist optimistisch, dass sich in dieser neuen Handlungswelt »Erinnerungsgemeinschaften« bilden werden, die mit Innovationen, z.B. facebook-accounts für NS-Opfer oder dem bekannten »Dancing Auschwitz«-Video in großem Maße jüngere Menschen positiv sensibilisieren werden.

Dass das Netz aber auch voll ist von prä- und profaschistischen Geschichtsaneignungen kommt dann schon nicht mehr vor.