Nicht den Gesetzen beugen

geschrieben von Gina Pietsch

30. August 2015

Mikis Theodorakis zum 90. Geburtstag

 

Am 29. Juli hatte er Geburtstag. Wir feierten damit 90 Jahre eines reichen, schweren, kämpferischen, widerständigen, widersprüchlichen Lebens. Unmöglich zu nennen all seine Aktivitäten in Politik und Kunst, in Freiheit und Gefangenschaft, geehrt und gefoltert, verbannt und in der Nähe seiner traditionsreichen Familie, als Politiker, als Dichter, als Komponist. Auffällig immer, schon durch Körpergröße, er ist 1,94. Und immer ist er unbequem, weil er, wie in seinem Lied, »sich nicht Gesetzen beugte«.

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Seine Kindheit ist geprägt durch viele Umzüge, bedingt durch häufigen Arbeitswechsel des Vaters als Jurist und Staatsbeamter. Geboren wird er auf der Insel Chios. Aber er versteht sich als Kreter, als ein Kreter mit musikalischer und höchst politischer Vorgeschichte. Da ist der eine Stammvater der erste und letzte kretische General, den die Türken am Beginn der Kämpfe gegen sie verhungern ließen. Und da ist der andere der Schöpfer des Hauptliedes der kretischen Revolution »Pote tha kani xasteria«. Eine verschworene Sippe sind sie – meist Hirten, Bauern, Lyraspieler, Angestellte und, wie Theodorakis sagt, Antikommunisten bis auf die Knochen, aber über zwei Jahrhunderte an vorderster Front Kämpfer gegen die wechselnden Besatzer, Türken, Albaner, Italiener, Deutsche, Engländer, Amerikaner – und die Junta des eigenen Landes. Und so wird denn auch verständlich, wieso Theodorakis auf die Frage eines seiner Peiniger auf der Verbannungsinsel Makronisos, wer er denn sei, dass er die Reueerklärung nicht unterschreibe, nicht antwortet Weil ich Kommunist bin, was er doch war zu dieser Zeit, sondern, Weil ich Kreter bin.

Die Jahre 60 bis 67 kommen. Eine gute Zeit, für Mikis die produktivste und glücklichste.

Er spricht vom »Frühling in Griechenland«. Und er wird Komponist in 30 Filmen. »Alexis Zorbas« macht ihn weltbekannt. Mit dem Dichter, und Maler Jakobos Kambanellis verbindet Mikis viel, Schmerzen auch, die Lager und Verbannung hinterlassen haben, das bei der Folter gebrochene Bein, das zerschlagene Auge, und die Krämpfe, die jede Erinnerung an die Verbannungsinsel Makronisos begleiten. Was Wunder, dass er für die »Mauthausen-Kantate« die Gedichte von Kambanellis nimmt, die dieser über seine Zeit als Häftling im KZ Mauthausen schrieb.

Der 22. Mai 1963. Der Armenarzt Grigoris Lambrakis, der an der Spitze der griechischen Friedensbewegung steht, wird ermordet, woraufhin sich auf Mikis Anregung Künstler, Wissenschaftler mit vielen Jugendlichen zusammenschließen zum Demokratischen Jugendverband »Lambrakides«. Sie werden die stärkste Organisation Griechenlands, machen sich an die Arbeit, pflanzen Bäume, helfen Schulen gründen, richten Kulturzentren ein. 1967 rollen die Panzer. Für sieben Jahre fällt das Land unter die Diktatur der Junta.

Theodorakis verfasst 2 Tage nach dem Putsch den ersten Aufruf zum Widerstand, gründet die »Patriotische Front« und schreibt »Rebellenlieder«. Es hagelt Verbote, von Büchern, von langen Haaren, kurzen Röcken, den Beatles, der Homosexualität, der Modernen Musik, den Russen, der Friedenbewegung, dem Buchstaben »Z«, der Leben bedeutet, und – den Liedern von Mikis Theodorakis.

Der 13. April 1970 – die internationale Solidarität verhilft ihm zur Flucht nach Paris. Der diese Flucht organisiert, tut es mit den Worten, der Komponist Mikis Theodorakis ist nun kein Kommunist mehr. Nicht das erste Mal und später immer wieder bringt ihn die Frage nach seiner Partei-Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit, seiner kritischen Sicht auf die oder seiner Solidarität mit der kommunistischen Partei zwischen die Fronten, für die Konservativen ein Erzkommunist, für die Kommunisten ein Abweichler.

Am Ende der Junta und dem Beginn der Zivilregierung unter Karamanlis im Juli 74 kann Theodorakis nach Athen zurückkehren. Der Empfang auf dem Flughafen wird ebenso triumphal wie die folgenden großen Konzerte mit seinen Werken. Der Erfolg seiner politischen Arbeit, als unabhängiger Bürgermeisterkandidat oder Staatsminister, reicht nicht heran an den als Komponist. Als dieser weltberühmt und in Griechenland unerreicht, wird er aber dennoch nicht von allen akzeptiert, aufgrund des ewigen Widerspruchs zwischen Massenerfolg und Innovation, des bewusst Unelitär-sein-Wollens.

Was seine Landsleute heute beschäftigt, sieht Mikis sehr früh. Schon 1990 kommt er zu der Einschätzung: »Die Lage ist schlimmer als unter der Diktatur. Gewiss, es gibt keine Folter, keine willkürlichen Verhaftungen, aber heute geht es um Leben und Tod für Griechenland. Sie haben die Kassen geleert, sie haben die Herzen gelehrt, sie haben die Hirne geleert.« Und entgegen seiner Pläne, sich nur noch mit Musik zu beschäftigen, engagiert er sich, bleibt unbequem.