Ein Stahlgewitter

geschrieben von Thomas Willms

3. November 2015

Der »wirkliche« Antifaschismus und seine Regression

 

Für den Sammelband »Antifa heißt Luftangriff!«, herausgegeben von Susann Witt-Stahl, und Michael Sommer lassen sich mildernde Umstände anführen. Zum einen sind sie für den desaströsen Zustand der deutschen kommunistischen Bewegung, der sie mit Hilfe dieses Buches aufhelfen wollen, nicht selbst verantwortlich, sind also nur Ausdruck desselben. Zum zweiten drehen sie im Bereich eines der Hauptthemen – des Ping-Pongs zwischen besonders engagierten Israel-Kritikern und den entgegengesetzt engagierten Freunden – nicht alleine an der Eskalationsschraube. Und drittens behaupten sie anders als der Laika-Verlag, der das Ganze in der Reihe »Laikatheorie« herausgibt, nicht, dass hier Wissenschaft betrieben würde, sondern versprechen eine Streitschrift. Damit meinen die Autoren und insbesondere die Herausgeberin wohl das Recht erhalten zu haben, ohne jede Hemmung ihr Missfallen über ein weites Arrangement von zu Gegnern, Verrätern, Versagern und Idioten erklärten Personen, Organisationen und Institutionen ausdrücken zu dürfen. Beispielhaft für den Tonfall sei zitiert die Bezeichnung von Beate Klarsfeld als »lupenreine Rechte« und der jüdischen Gemeinde Frankfurt als »Bürgermob«. Erstere hat wie jeder wissen kann, einiges Praktische gegen deutsche Alt- und Neofaschisten unternommen – was von Frau Witt-Stahl nicht bekannt ist. Die zweite erlaubte sich 1976 gegen ein von ihr als beleidigend und antisemitisch empfundenes Theaterstück Rainer Werner Fassbinders zu protestieren.

Susann Witt-Stahl/Michael Sommer (Hrsg.): »Antifa heißt Luftangriff!«. Regression einer revolutionären Bewegung, Laikatheorie, 212 Seiten, 21,00 €

Susann Witt-Stahl/Michael Sommer (Hrsg.): »Antifa heißt Luftangriff!«. Regression einer revolutionären Bewegung, Laikatheorie, 212 Seiten, 21,00 €

Ausgangspunkt der Beiträge des Bandes ist die Vorstellung, dass es abseits des tatsächlichen einen wahren, nämlich marxistisch-revolutionären und antiimperialistischen Antifaschismus geben müsse. Alles andere sei »Regression« womit wohl der psychoanalytische Begriff gemeint ist, d.h. das Zurückfallen auf eine frühere kindliche Entwicklungsstufe. Die derart Zurückgebliebenen umfassen, wenn man den Auflistungen des Buches folgt, ca. 98% all derjenigen, die in Deutschland antifaschistische Politik betreiben. Das gilt auch für die VVN-BdA und namentlich antifa-Redakteur PC Walther, der es gleich zweimal zur Erwähnung bringt. Einmal soll er Anhänger einer Variante der Totalitarismustheorie sein, das andere Mal wird er zum Vertreter einer »linksneoliberal gewendeten Faschismustheorie« erklärt. Beides dürfte ihn und alle die ihn kennen, wundern.

Die Beiträge beschäftigen sich mit durchaus interessanten Themen: dem Verhältnis von Antifaschismus und Neoliberalismus, der Marx’schen Werttheorie und ihrem Verhältnis zum Antisemitismus, der Rechtfertigung von Kriegen durch historische Analogieschlüsse und anderem. Außer unter der uninteressanten Dauerpolemik leiden die Beiträge jedoch in unterschiedlichem, aber insgesamt beträchtlichem Maße an mangelnder intellektueller Redlichkeit. Aus der Real- und Ideologiegeschichte wird nur herausgeklaubt, was scheinbar dem eigenen Anliegen hilft.

In einem Beitrag des Briten M. Zurowski, in dem gegen das »Märchen vom kleineren Übel« zu Felde gezogen wird, findet sich gar eine Argumentation dafür »mit Faschisten zu reden«. Ausgehend von Beispielen aus der Weimarer Republik, werden diejenigen, die so etwas prinzipiell ablehnen als »irrational« bezeichnet. Diese wollten sich nur nicht »die Finger schmutzig machen«.

Besonders bizarr ist die durchgehende Ignoranz ausgerechnet gegenüber der Geschichte der kommunistischen Bewegung Deutschlands. Es hätte auffallen können und müssen, dass das geforderte »antiimperialistisch« verengte Vorgehen, in der sich die Energie nicht gegen die faschistische Bewegung, sondern zum großen Teil gegen »Lakaien«, »Sozialfaschisten« usw. richtete, wenigstens einmal pro Generation ins Feld geführt wurde. Nicht der Rede wert ist den Autoren, dass diese Linie insbesondere zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, Anfang der 1930er Jahre, die Parteilinie bestimmte und direkt in die Katastrophe führte. Die Überwindung dieser dramatischen Fehleinschätzung in späteren Jahren, nachlesbar in wichtigen Parteidokumenten, findet dann erst recht keine Beachtung.

Natürlich muss das, was einmal richtig war, heute nicht mehr zwangsläufig stimmen. Aber dafür bräuchte es eine differenzierte und schlüssige Argumentation und auch Respekt wenigstens denjenigen gegenüber, die aus den Lagern zurückgekehrt z.B. in der VVN gerade wegen ihrer kommunistischen Überzeugung für das eingetreten sind ,was Witt-Stahl und Konsorten partout nicht wollen: das Isolieren faschistischer Keimzellen und die Bildung eines breiten antifaschistischen Konsenses unter Beibehaltung und Akzeptanz unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Entwürfe.