Das Feindbild blieb erhalten

geschrieben von Ernst Antoni

4. Januar 2016

Über die ersten 25 Jahre des Bundesamtes für Verfassungsschutz

 

Der Haupttitel steht auf dem Buchumschlag in Anführungszeichen. Also ein Zitat: »Keine neue Gestapo«. Der Untertitel wiederum weist gänsefüßchenfrei darauf hin, worum es bei der Untersuchung geht: Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit. Die kleine und dennoch nicht ganz unbedeutende Information, dass die konkrete Untersuchungszeit, mit der die Autoren sich befassen, beschränkt ist auf die Jahre zwischen 1950 und 1975 fand auf dem Cover keinen Platz. Sie findet sich auf dem Rücktitel und in der Einleitung des Werkes, das vergangenen Herbst auf den Markt kam.

Constantin Goschler, Michael Wala, »Keine neue Gestapo«. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit, Rowohlt Verlag Reinbek, 464 S., 29,95 Euro

Constantin Goschler, Michael Wala, »Keine neue Gestapo«. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit, Rowohlt Verlag Reinbek, 464 S., 29,95 Euro

Ein »Auftragswerk«, wie Constantin Goschler und Michael Wala, beide derzeit Geschichts-Professoren an der Universität Bochum, nicht verhehlen: »An dessen Anfang steht eine Ausschreibung des Beschaffungsamtes des Bundesinnenministeriums: Gefragt war eine ‚Organisationsgeschichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz 1950-1975, unter besonderer Berücksichtigung der NS-Bezüge früherer Mitarbeiter in der Gründungsphase‘.« In der Einleitung gehen die Autoren auf die »Probleme solcher Auftragsforschung« ein, »Forschungsprojekten, die unter dem Sammelbegriff ‚Aufarbeitung‘ genannt werden«: Firmen und Behörden würden solche Projekte meist »direkt und aufgrund wenig transparenter Kriterien vergeben, anstatt in einem offenen Wettbewerb der Forschungsideen.«

Weshalb die Verfasser »mit dem Beschaffungsamt vereinbart« hätten, »dass wir nicht allein in unseren Fragestellungen und Zugriffsweisen völlig unabhängig sein müssen und die Ergebnisse in einem Verlag unserer Wahl publizieren können, sondern auch, dass es keine Eingriffe in die Darstellung unserer Ergebnisse geben wird und zudem sämtliche von uns im Bundesamt für Verfassungsschutz ausgewerteten Quellen nach Abschluss des Projektes dem Bundesarchiv übergeben werden. Nur so ist gewährleistet, dass unsere Forschungen öffentlich und wissenschaftlich überprüft und kritisch begutachtet werden können.«

Die Autoren scheinen dort, wo es ihnen möglich war, schon genau hingeschaut zu haben. Nach konkreten NS-Bezügen beim Geheimdienst »Verfassungsschutz« im Laufe seiner Entwicklungsgeschichte. Nach Personen mit nachgewiesener Nazivergangenheit, nach Affinitäten hier und Konflikten dort zwischen »alten« Strukturen, Besatzungsmächten, aktuell-politischen Überlegungen und seit Beginn der 50er-Jahre stetig aufrecht erhaltenen tradierten »Feindbild«-Mustern. Der Feind wurde beständig »links« geortet, bespitzelt, angeprangert, in den letzten Jahren des untersuchten Zeitraums qua »Radikalenerlass« mit Berufsverboten verfolgt.

Goschler und Wala listen die Geheimdienst-Geschichte chronologisch in vier Kapiteln mit zahlreichen Unterabteilungen auf: »Aufbau«, »Krisen«. »Skandale«, »Transformationen«. Nicht alles, was hier zusammengestellt wurde, ist unbedingt neu, ist zum Teil aus anderen Veröffentlichungen bekannt. Die Bündelung skandalöser Vorgänge in den ersten zweieinhalb Jahrzehnten des Bestehens dieses »Überwachungsorgans«, erweist sich dennoch als furchterregend.

Aufschlussreich bereits im ersten Kapitel der Abschnitt »Personal«: »Demokratisch unbedingt zuverlässige und fachlich hochwertige Kräfte« waren vom zuständigen Staatssekretär 1950 dem Bundestag bei der Vorstellung des Gesetzentwurfes angekündigt worden. Eben weil »keine neue Gestapo« entstehen sollte, wie die westlichen Besatzungsmächte vorgegeben hatten. »Paradoxerweise führte gerade die engmaschige Kontrolle der Alliierten dazu«, schreiben die Autoren, »dass ein zweigeteiltes Bundesamt entstand: eine offizielle Behörde, in der politisch Belastete zunächst keine Einstellung fanden, und eine Art Nebenbundesamt, in dem ehemalige Mitglieder von Gestapo, SS und dem SD sowie der Abwehr unterkamen, unkontrolliert von den Sicherheitsdirektoren, dem Innenministerium und zunehmend auch ohne Aufsicht der Amtsspitze des Bundesamtes selbst.«

Nachdem nach Abschluss der »Entnazifizierungen« in der Bundesrepublik »einfache« NSDAP-Mitgliedschaften ohnehin kein Hinderungsgrund waren, gerade bei diesem Amt allerdings einstige Angehörige von SS, SD und Gestapo nach wie vor nach alliierter Anweisung unerwünscht, entstand eine »Parallelstruktur« aus »freien Mitarbeitern«. Mit einschlägiger Vergangenheit, scharfem Blick nach Osten, auf heimische Kommunisten und auf alle, von denen sie meinten, dass sie diesen gewogen seien.

»Keine neue Gestapo« also – auch, weil den Ämtern und deren Personal bis heute polizeiliche Befugnisse nicht zugestanden werden. Wohl aber doch ideologische Kontinuitäten, die – auch, wenn die Autoren des Buches dies etwas anders sehen – bis heute wirkmächtig sind. Hinweise auf eine in den 60er-Jahren erfolgte »zweite Entnazifizierung« der Behörde oder auf die wesentlich höhere Zahl ehemaliger Nazifunktionäre bei Bundeskriminalamt und BND mögen da auch nicht beruhigen. Vor allem jene nicht, die sich als Personen oder demokratische Organisationen nach wie vor »Verfassungsschutz«-Nachstellungen ausgesetzt sehen.