Nationale Diskurse hinterfragen

geschrieben von Kamil Majchrzak

7. Januar 2016

Sonnenburg für eine europäische Bildungs- und Erinnerungsarbeit erschließen

 

Die Geschichte des KZ und Zuchthauses Sonnenburg bietet vielschichtige Anknüpfungspunkte für antifaschistische Bildungs- und Erinnerungsarbeit. Wie diese historischen Bezüge in der praktischen Jugendarbeit umgesetzt werden könnten, diskutierten die Teilnehmerinnen einer internationalen Tagung unter dem Titel »Sonnenburg / Słońsk – Ein europäischer Gedenk- und Lernort zu Verfolgung und Widerstand«, die von der Berliner VVN-BdA und Helle Panke am 5. Dezember 2015 in Berlin abgehalten wurde.

Die Geschichte des KZ Sonnenburg und späteren Zuchthauses, in dem die Nazis europäische Widerstandskämpfer aus den deutschen Besatzungsgebieten internierten, ist bislang in der deutschen Erinnerungskultur kaum präsent. Der Internationale Arbeitskreis zum Gedenken an die Häftlinge des KZ und Zuchthauses Sonnenburg bei der Berliner VVN-BdA hat in den vergangen Jahren die Erforschung der Geschichte dieser Haftstätte maßgeblich vorangebracht. Das internationale Team hat mit Unterstützung von Angehörigen ehemaliger Häftlinge den Hauptteil der neuen Ausstellung im »Museum der Martyrologie der Häftlinge – Opfer des Hitlerismus in Słońsk/Sonnenburg« zur Geschichte des KZ und Zuchthauses Sonnenburg von 1933 bis 1945 und die juristischen Folgen erarbeitet. Gleichzeitig erschienen in Zusammenarbeit mit Mitstreitern aus Polen, Westeuropa, Norwegen und Deutschland erstmals eine deutsche und eine polnische Publikation zum Thema. Die Forschungsergebnisse belegen, dass die Erweiterung der historischen Bildungsarbeit in Sonnenburg um eine europäische Dimension notwendig ist.

Das Durchbrechen nationaler Erinnerungsdiskursen ermöglicht einen Perspektivwechsel wodurch blinde Flecken, Konflikte und geschichtspolitische Interessen sichtbar werden. Deutlich wurde, dass in der Diskussion um den Film »Sonnenburg – Spuren eines Schreckensortes« von und mit Schülern und Schülerinnen aus Słońsk und Fürstenwalde. Die Entwicklung eines kritischen historischen Bewusstseins in der Bildungsarbeit ist Vorbedingung für die Zurückgewinnung einer europäischen Erinnerungskultur, die nationalistischen Diskurse überwindet und hinterfragt.

Christoph Gollasch vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin ging in seinem Beitrag zum KZ Sonnenburg auf die bestehenden Möglichkeiten der historischen und pädagogischen Aufarbeitung ein. Dafür liefern die intensiven Recherchen bezüglich der Häftlingsgesellschaft, die Frieder Böhne in einer Datenbank zum KZ Sonnenburg erstellte eine wichtige Grundlage. Aus der Datenbank können Namen und Orte für eine weitergehende regionale Bildungs- und Erinnerungsarbeit in Brandenburg herausgezogen werden. Die Rolle, die der Antisemitismus im Zuge von »Schutzhaft« und politischem Terror spielte, stellte Julia Pietsch von der FU Berlin anhand ihrer Untersuchungen zu den jüdischen Häftlinge im KZ Sonnenburg vor. Einen wichtigen praktischen Bezug zu antifaschistischer Bildungsarbeit stellte Daniel Queiser vor. Anhand erhaltener Häftlingsberichte können die Verhältnisse der Zwangsarbeit und Bedingungen von Widerstand und Solidarität im Zuchthaus Sonnenburg rekonstruiert werden.

Die Möglichkeiten einer gemeinsamen europäischen Perspektive erläuterte am Beispiel Sonnenburg/ Słońsk Dr. Katarzyna Woniak vom Zentrum für Historische Forschung Berlin (PAN). Thomas Hetzer vom Deutsch-Polnischen Jugendwerk (DPJW) stellte seine praxisbezogenen Erkenntnisse der internationalen Bildungsarbeit bei Gedenkstättenfahrten Jugendlicher nach Polen vor.

Magdalena Dźwigał vom Institut für Nationale Erinnerung (Szczecin) stellte die Erinnerungsarbeit des IPN vor und fragte, wie angesichts des Fehlens von Artefakten des KZ und Zuchthauses ggf. weiterführende archäologische Arbeiten zum Ost-Trakt der Haftstätte in die Bildungsarbeit einbezogen werden könnten. Anschließend wurden die Erfahrungen aus trilateraler Erinnerungs- und Antirassismus-Arbeit der Berliner VVN-BdA mit Jugendlichen in Buchenwald vorgestellt.

Die Erfahrungen aus der Internationalen Gedenk- und Erinnerungsarbeit wurden in einer Podiumsdiskussion vertieft, an der Thomas V. H. Hagen von der Stiftelsen Arkivet Kristiansand (Norwegen), Jan Hertogen, vom Vriendenkring-Amicale Sonnenburg (Belgien), Dr. Matthias Heyl von der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück sowie Dr. Laurent Thiery von der La Coupole, Centre d‹Histoire et de Mémoire du Nord – Pas-de-Calais, St. Omer, (Frankreich) teilnahmen.