Miteinander leben

11. Januar 2016

Ein antifa-Gespräch über Flüchtlingshilfe und staatliches Versagen

 

antifa: Woher kommen die Flüchtlinge, die bei euch leben?

Jürgen Horn: Das sind junge Männer, zivile Kriegsflüchtlinge, vor allem aus dem Niger.

antifa: Ihr Status ist ungeklärt. Bekommt Ihr in irgendeiner Form staatliche Unterstützung für die bei euch Untergekommenen?

Jürgen Horn: Eigentlich nicht. Man hat mehr den Eindruck, der Staat, also hier die Stadt Berlin, die war‘s zufrieden, dass die »Unruhestifter« vom Oranienplatz endlich untergebracht und abgetaucht sind. Jetzt kann man die Arme über der Brust verschränken, ab und zu humanistische Sprüche absondern und ansonsten bequem darauf warten, ob der Kirche das Geld für die Flüchtlinge ausgeht oder nicht. Das ärgert mich etwas.

Transpi

antifa: Wie fühlen sich die Flüchtlinge bei euch? Könnt ihr sie in das Leben eures Hauses einbeziehen, oder läuft beides nebeneinander her?

Jürgen Horn: Ich denke, sie fühlen sich gut; soweit man das bei den schlechten Bedingungen überhaupt und bei ihrem unsicheren Aufenthaltstatus sagen kann. In der Luft zu hängen, nicht arbeiten zu können, nicht wissen, wie es weiter geht…, das zerrt natürlich an den Nerven.

antifa: Wie reagieren eure Gäste auf die Einschränkungen, die das Leben mit den Flüchtlingen mit sich bringen?

Jürgen Horn: Na ja, unsere Gäste, die sind natürlich auch so etwas wie ein Querschnitt dieser Gesellschaft überhaupt, mit allen ihren Vorbehalten und Ressentiments. Aber überwiegend herrscht Akzeptanz. Das hängt unter Umständen auch damit zusammen, dass die Situation der Leute vergleichbar ist. Wir haben hier hauptsächlich Besucherinnen und Besucher, denen sagt die herrschende Gesellschaft: »Euch wollen wir nicht.« Na ja, und bei den Flüchtlingen ist das nicht so anders. Natürlich gibt es Einschränkungen im laufenden Betrieb. Wir haben in der zweiten Etage ein großes Atelier, wo gemalt wird. Die Hälfte des Raumes ist jetzt von den Feldbetten der Flüchtlinge belegt. Wir haben einen Seminarraum, wo man Filme sehen kann, Bücher lesen oder einfach so mal in Ruhe miteinander schwatzen. Das ist zurzeit der Tagesraum für die Flüchtlinge. Es gibt also Einschränkungen. Und es gibt da natürlich immer wieder auch Reibereien. Aber übergreifend glaube ich, herrscht eine Atmosphäre von Solidarität und Akzeptanz. Ich denke, das hat mit der Philosophie des Hauses zu tun, die wir tagtäglich leben. Irgendwie ist das aus meiner Sicht auch so etwas wie diakonische Arbeit im besten Sinne. Es ist die Grundstimmung, die dieses Haus trägt, eben akzeptierendes Miteinander. Das mussten wir nicht erst entwickeln, als die Flüchtlinge kamen. Das ist so bei uns.

antifa: Ehrenamtliche Helfer bieten inzwischen Deutschunterricht in euren Räumen an. Läuft das alles über die evangelische Kirche oder existieren Netzwerke mit anderen Unterstützerinnen?

Jürgen Horn: Vieles läuft über die Kirche. Der Bischof verhandelt mit dem Berliner Senat. Über den Kirchenkreis Stadtmitte wird nach Möglichkeiten von Berufspraktika für die Flüchtlinge gesucht, nach Möglichkeiten von Unterbringung in kirchlichen Einrichtungen. In St. Simeon wurde eine Flüchtlingskirche installiert. Als die Flüchtlinge kamen, da hat sich sehr schnell ein Unterstützerkreis aus Mitarbeitern der Einrichtung und Ehrenamtlichen gebildet, die hier in der Gitschiner tätig sind. Schirmherrin ist die Sängerin Joceline B. Smith, die in der Gitschiner einen Chor leitet. Inzwischen haben die einen Verein gegründet: help4people e.V., mit einer eigenen Webseite www.help4people.de. Die brauchen Unterstützung, damit sie helfen können. Ist das nun kirchlich oder nicht? Auf jeden Fall gibt es eine große Bereitschaft zur Hilfe. Man sollte die Prioritäten vielleicht umdrehen. Anstatt sich von Ehrenamtlichen unterstützen zu lassen sollten sich die Offiziellen besser darauf konzentrieren, die Ehrenamtlichen zu unterstützen.

antifa: Was wäre nach eurer Erfahrung nötig, um den unwürdigen Zustand des Hin-und Herschiebens der Menschen endlich zu beenden und habt ihr Hoffnung, dass sich in dieser Richtung etwas bewegt?

Jürgen Horn: Ein ernsthaftes Asylgesetz das alle Flüchtlinge und all Fluchtgründe akzeptiert und nicht nur die, die der Bundesregierung aus geostrategischen Gründen gerade ins Konzept passen. Sofortige Möglichkeit zu arbeiten, sofortige Angebote von Deutschkursen, sofortige Integration und nicht erst nach monatelangen quälenden Überprüfungsverfahren. Mit Hoffnung kann ich wenig anfangen. Aber es gibt Erfahrungen. Und die sagen, dass Veränderungen immer nur dann möglich sind, wenn eine alltägliche Menschlichkeit konfliktbereit gegen herrschende Politik und Wirtschaft auf die Straße geht – und das nicht nur in der Flüchtlingsfrage. Da ist es im Augenblich zu ruhig. Die vielen ehrenamtlichen Helfer reiben sich in ihrer Unterstützung für die Flüchtlinge auf. Aber von einer schrillen politischen Initiative, in der diese Ehrenamtlichen Forderungen stellen, davon habe ich noch nichts gehört. Dann stimmt die Frage vielleicht doch wieder. Ja, wir haben Hoffnung. Wir haben die Hoffnung, dass die Zivilgesellschaft sich den Zynismus der Politik nicht endlos wird gefallen lassen.