Lotte Rayss war auch Lilo

geschrieben von Janka Kluge

1. März 2016

Friedrich Wolfs Poem setzte zwei mutigen Frauen ein Denkmal

 

Friedrich Wolfs Poem über Lilo Hermann gehört zu seinen bekanntesten Werken. Außerhalb Stuttgarts weiß aber kaum jemand, dass er in seinem Gedicht zwei verschiedene Frauen beschreibt. Bereits 2009 schrieb Lothar Letsche in der UZ: »Was der damals in Stuttgart wirkende Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf (1888-1953) ab 1946 über seine Begegnung mit Lilo Herrmann als angeblicher Pionierleiterin berichtete, ist eine dichterische Vermischung mit Lotte Rayss, die 1934 in Zürich eine Tochter von ihm bekam und in der Sowjetunion von 1938-1946 inhaftiert, danach bis 1954 ›verbannt‹ war.«

Jetzt ist ein kleines Buch von Hans-Joachim Seidel über diese Frau erschienen.

Lotte Rayss kam 1912 in Kaiserslautern zur Welt. Es ist nicht bekannt, wann die Familie nach Stuttgart gezogen ist. Mit 18 Jahren wird sie Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes (KJVD). Sie wird Gruppenleiterin der Jungen Pioniere in Stuttgart und betreut dort auch Markus und Konrad, die Söhne von Friedrich Wolf. Als sie wegen einer schlecht heilenden Verletzung am Finger gekündigt wird, beschäftigt sie Friedrich Wolf beim Spieltrupp Süd-West. 1932 intensivierte sich die Zusammenarbeit mit Friedrich Wolf. Sie begleitete ihn bei seinen Recherchen für das Stück »Bauer Baetz«. Lotte Rayss wurde für Friedrich Wolf nicht nur eine enge Mitarbeiterin, sondern auch seine Geliebte. Hans-Joachim Seidel zitiert in seinem Buch aus einem Brief von Else Wolf an ihn:

» (…) Ich will doch nicht, dass Du L. aufgibst. Das missverstehst Du immer noch. Ich weiß, dass Du das brauchst und verstehe das.« Lotte Rayss war für Friedrich Wolf aber weit mehr als eine Liebelei.

Wie eng die Zusammenarbeit zwischen ihm und Lotte Rayss war, wird daran deutlich, dass sie die Inszenierung von »Bauer Baetz« für die Gruppe »Rot-Sport« des Turnerbundes Rohrackers übernahm. Friedrich Wolf war zu dieser Zeit auf einem Schriftstellerkongreß in Leningrad und danach in Berlin.

Als Friedrich Wolf im März 1933 floh wurde er von Lotte Rayss begleitet. Jahrzehnte später schrieb sie in einem Brief, dass das »die schönste Zeit meines Lebens war, so eine Art Flitterwochen«. Da in Stuttgart seine Flucht noch nicht bekannt war, wurde sein Haus rund um die Uhr überwacht. Doch auch Else Wolf gelang die Flucht in die Schweiz, wo Friedrich Wolf inzwischen angekommen war. Lotte kam im Gegenzug zurück nach Stuttgart, um sich um die Kinder zu kümmern und Geld zu organisieren.

Friedrich Wolf blieb zuerst in Riehen bei Basel und reist dann über Lothringen weiter nach Frankreich. Auf der Insel Brehat in der Bretagne fand er Zuflucht im Ferienhaus des Chefredakteurs der Hummanité. Spätestens hier stieß auch Lotte wieder zu ihm. Beide arbeiteten intensiv an dem Theaterstück »Professor Mamlock«, das eines der wichtigsten antifaschistische Stücke wurde.

Im September 1933 reiste Lotte zurück nach Paris, um für Friedrich Wolf Verhandlungen mit einer amerikanischen Filmgesellschaft zu führen. Danach fuhr sie, bereits schwanger, zurück nach Stuttgart, um Manuskripte von ihm zu retten.

Im Februar 1934 kam in Zürich ihre Tochter Lena zur Welt. Else Wolf übergab ihr im Krankenhaus noch kurz vor ihrer Ausreise nach Moskau den Schlüssel zu ihrer Wohnung in Basel, damit sie mit dem Kind erst mal eine Bleibe hatte. Doch die Situation in der Schweiz war für sie unerträglich, so dass sie sich entschloss, ebenfalls nach Moskau zu gehen. Nach einem kurzen Aufenthalt in Prag erreicht sie Moskau im Mai 1934. Zusammen mit ihrer Tochter kam sie zunächst in der kleinen Wohnung der Wolfs unter. Für Lotte Rayss war diese Situation jedoch nicht akzeptabel. Durch Vermittlung von Nadeshda Krupskaja, der Ehefrau Lenins, zog sie mit ihrer Tochter in die Hauptstadt der Wolgadeutschen Republik, Engels.

Am 5. Februar 1938 wurde Lotte Rayss verhaftet und wegen Spionage zu einer fünf jährigen Haftstrafe verurteilt. Danach musste sie noch fast neun Jahre in der Verbannung in Kasachstan verbringen. Nach ihrer Entlassung zog sie nach Ostberlin.

1959 heiratete sie Richard Strub, den Sohn der Familie, bei der Friedrich und Else Wolf nach der Flucht aus Deutschland in Basel untergekommen waren. Nach der Geburt ihrer Tochter lebte sie ebenfalls kurz bei der Familie. Lotte Strub starb am 6. Januar 2008. Erst nach ihrem Tod konnte ihr Sohn Konrad Rayss über das Leben und Schicksal seiner Mutter sprechen.

Friedrich Wolf hat Lotte Rayss nicht nur in dem Gedicht über Lilo Hermann gewürdigt. Sie selbst hat einmal gesagt, dass sie sich in dem Roman »Zwei an der Grenze« in der Beschreibung der Loni erkannt hat. Außerdem hat er in dem Theaterstück »Die letzte Probe« auf ihre Beziehung Bezug genommen. In dem Stück über eine Theatergruppe, die fliehen muss, sagt der Schriftsteller: »Es ist gewiß wahr, daß die Vergangenheit mit ihren großen Gestalten uns immer wieder erschüttert; aber es ist ebenso wahr, daß gerade heute die Menschen gern hinter die Größe der Historie fliehen (…) aus Mangel an Mut.«