Welches Erbe wird gepflegt?

geschrieben von Kamil Majchrzak

3. März 2016

Das polnische Wrocław trägt 2016 den Titel »Europäische Kulturhauptstadt«

 

Die Vergabe des imagefördernden Titels soll »den Reichtum und die Vielfalt der europäischen Kulturen sowie ihre Gemeinsamkeiten veranschaulichen« und ein besseres Verständnis der BürgerInnen Europas füreinander ermöglichen. Die Wunschvorstellungen von einer europäischen »Wertegemeinschaft« sind jedoch mit dem Rechtspopulismus und Nationalismus in Europa nicht in Einklang zu bringen. Antifaschistische Erinnerungspolitik könnte dabei ein Gegengewicht zum Geschichtsrevisionismus und Euronationalismus herstellen. Seit längerem häufen sich Überfälle auf Ausländer in Wrocław. In der Synagoge werden Scheiben eingeworfen. Pegida scheiterte zwar jüngst mit dem Versuch, in der Stadt eine Demo zu organisieren, doch nicht aufgrund von Protesten, sondern wegen des Widerstandes polnischer Nazis gegen eine vermeintliche »Germanisierung«. Ein Antifa-Video des »Centrum Postaw Antyrasistowskich« dokumentierte die gravierendsten Nazi-Vorfälle, wurde jedoch schnell durch die ESK-Manager auf YouTube gelöscht.

Die vergangen 25 Jahre waren in Polen von einer sich radikalisierenden Geschichtspolitik begleitet, die zu einer nationalistischen Umerziehung führte. Der Siegeszug der Totalitarismusideologie befördert dabei Nationalismus und eine fehlende Auseinandersetzung mit der Geschichte der Shoah. Die Gewaltbereitschaft und der Einfluss der polnischen Neofaschisten auf die Kultur von Wrocław ist nicht erst bei Nazi-Protesten gegen die Aufführung von Elfriede Jelineks »Der Tod und das Mädchen« sichtbar geworden. Bereits zuvor verhinderten Neofaschisten der »Nationalen Wiedergeburt Polens« (NOP) am 1. März 2013 die Präsentation eines Films von Tomáš Rafa in Wrocław, da dieser der Ehre der sog. »Żołnierze Wyklęci« (»Verfemte Soldaten«) nicht zuträglich sei. Die Einführung eines Nationalfeiertages am 1. März, für sog. verfemte Helden des Widerstands, deren Hauptbeschäftigung im Zweiten Weltkrieg in der Judenjagd und Aufspürung von Kommunisten lag, stammte von Lech Kaczyński. Doch erst dank der in den letzten Parlamentswahlen abgewählten Bürgerplattform (PO) wurde er vom Parlament verabschiedet. Die Appeasementpolitik der PO gegenüber dem Nationalismus schuf erst die Grundlage für den Wahlsieg der PiS. Der Film des slowakischen Künstlers Tomáš Rafa, in dem der Nationalismus in Europa thematisiert wird, entstand dabei im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt 2013 im slowakischen Košice. Die Stadtverwaltung rechtfertigte sich, sie wollen keine »linken Provokationen« und verweigerten die Aufführung.

Den vorläufigen Höhepunkt bildete die Verbrennung einer Juden-Puppe mit EU-Fahne in einem antisemitischen Fackel-Mysterium der faschistischen ONR (Obóz Narodowo-Radykalny) just zur Reichspogromnacht. Die Kuratoren der Europäischen Kulturhauptstadt Wrocław bemüßigten sich in einem Offenen Brief die nationalistische Parole »Gott, Ehre, Vaterland« zu verteidigen, anstatt Nationalismus und Antisemitismus anzugreifen.

Seit Jahren werden Roma in der Stadt kulturell, wirtschaftlich und sozial ausgegrenzt. Nach einer rechtswidrigen Zwangsräumung einer Roma-Familie mit Bulldozern just zum Jahrestag der Auflösung des sog. Zigeunerlagers im deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau im Sommer 2015, ver-glich Roman Kwiatkowski, Vorsitzender der Vereinigung der Roma in Polen, den Umgang der Stadt Wrocław mit Roma mit der Behandlung der Roma im ehemals deutschen Breslau in den 1930er Jahren.

Die Hoffnungen, die »Europäische Kulturhauptstadt« werde durch eine kluge Kulturförderpolitik die soziale Kluft schließen und der Ausländerfeindlichkeit begegnen, haben sich nicht erfüllt. Das Treiben der neofaschistischen Szene in Wrocław wird verharmlost. Dabei ist die Geschichte von Wroclaw auch eine Geschichte des antifaschistischen Widerstandes. Cornelia Domaschke und andere haben bereits vor Jahren dazu wichtige Untersuchungen vorgelegt. An diese Arbeiten wollen polnische Antifaschisten wie der Stadtteil-Aktivist Tomasz Kulik und einen antifaschistischen Stadtplan von Wrocław erarbeiten. Eine breitere polnisch-deutsche Zusammenarbeit der Antifaschistinnen wäre hier wünschenswert.