Mit Gesang wurde gekämpft

geschrieben von Ulrich Schneider

2. Mai 2016

Von der notwendigen Wiederaneignung antifaschistischer Liedkultur

 

»Bella Ciao«, »Die Moorsoldaten«, »Roter Wedding« oder »Spaniens Himmel« – solche Liedtitel sind den Älteren in der antifaschistischen Bewegung noch gut in Erinnerung. Fragt man jedoch jüngere Mitglieder, die in den vergangenen zehn Jahren zur Organisation gestoßen sind, dann hat der größte Teil von ihnen vielleicht schon einmal davon gehört, doch singen könnten sie die Lieder sicher nicht. Das soll natürlich kein Vorwurf an die jüngeren Generationen sein, aber ein Hinweis auf ein Manko in der kulturellen Arbeit auch unserer antifaschistischen Organisation.

Mit dem Verlust der politischen Hegemonie mit dem Ende der DDR und dem gesellschaftspolitischen Roll-Back in unserem gesamten Land gingen auch kulturelle Traditionen, die in gewisser Weise zur Identität der politischen Bewegung gehören, verloren. Nach meinem Eindruck gibt es in unseren Strukturen eigentlich nur eine Gruppe, für die die Lieder der antifaschistischen Bewegung zum politischen Repertoire gehören, nämlich die »Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik«.

Diese Lieder im Spanischen Bürgerkrieg waren die alltägliche Möglichkeit einer gemeinsamen Verständigung auch über die verschiedenen Sprachen hinweg. Sicherlich haben auch die kongenialen Aufnahmen mit Ernst Busch, die immer wieder in verschiedenen Aufzeichnungen zu hören sind, dazu beigetragen, dieses Liedgut zu bewahren.

Viele andere Formen der kulturellen Erinnerung an das Liedgut der deutschen und internationalen antifaschistischen und Arbeiterbewegung existieren nicht mehr. Die Tradition der Singegruppen-Bewegung der DDR ist faktisch verschwunden. Auch innerhalb des Organisationslebens haben Lieder der Bewegung ihre Bedeutung verloren, Melodien sind noch bekannt, die Texte, über die natürlich die politischen Botschaften transportiert wurden, findet man nur noch im Internet.

Erinnern wir uns an die politische Bewegungen gegen die griechische Militärjunta oder gegen das Pinochet-Regime in Chile, dann waren es nicht zuletzt die beeindruckenden Konzerte von Mikis Theodorakis und Maria Farantouri sowie Inti Illimani und Quilapayun, die für eine hohe Emotionalität gesorgt haben. Jedes ihrer Lieder war ein mobilisierendes Argument im Kampf gegen Unterdrückung und für unsere internationale Solidarität.

In der internationalen antifaschistischen Bewegung wird diese kulturelle Tradition noch aktiver gepflegt. Ich habe noch keine große Veranstaltung z.B. der russischen Veteranen erlebt, auf denen nicht Lieder aus dem Großen Vaterländischen Krieg oder aus dem Bürgerkrieg gesungen wurden. Und diese Lieder sind auch den Jüngeren bekannt. In Griechenland, Spanien und Portugal ist es eine lebendige Tradition, dass beim Zusammensein mit antifaschistischen Gruppen am Ende, nicht nur im »gemütlichen Teil des Tages«, Lieder der Partisanenbewegung angestimmt werden. Auch bei Demonstrationen und Kundgebungen hört man gemeinsam gesungene Lieder.

In Italien haben selbst heutige Musikgruppen wie die »Modena City Ramblers« die Lieder des Partisanenkampfes oder der linken politischen Bewegung im Repertoire und tausende junge Menschen singen diese Lieder mit. Ein Konzertvideo bei »you tube« wurde bereits 7,5 Mio. Mal angeschaut.

Betrachtet man die Internet-Angebote zum Thema »Arbeiterlieder«, könnte man den Eindruck haben, dass auch in unserem Land ein breites Interesse besteht. Jedoch gibt es nur wenige Musiker und Gruppen, die sich mit solchen Liedern beschäftigen, so z.B. die Hamburger Gruppe »Rotdorn«, die Bremer Gruppe »Grenzgänger«, die »Marbacher« (Baden-Württemberg) oder der Berliner »Hanns Eisler Chor«. Liedermacher wie Hannes Wader und Konstantin Wecker machen Anleihen an diese Vorlagen, auch wenn sie zumeist ihre eigenen Texte vertonen. Doch insgesamt sind dies »Nischenangebote« und im Alltag auch unserer Organisation spielt diese Form kultureller Betätigung nur eine untergeordnete Rolle.

Doch wenn man die Konzerte von Esther Bejarano gemeinsam mit der Microphone Mafia erlebt, dann wird sichtbar, welch großes emotionales Potential die Vermittlung von antifaschistischer Identität über die musikalische Ebene beinhaltet.

Diese Möglichkeiten antifaschistischer Musik und Kultur sollten wir als VVN-BdA verstärkt im Blick behalten, damit nicht dieser wichtige Teil unserer kulturellen Tradition und Identität verloren geht.