»Wurzeln« des Faschismus

geschrieben von Friedbert Mühldorfer

3. Mai 2016

Von der Schwierigkeit den »antifaschistischen Konsens« zu beschreiben

 

Ulrich Schneider beleuchtet in seinem Artikel »Auftrag Antifaschismus. Vom Nachkriegs-Bündnis zum Zukunftsmodell« (antifa März/April 2016) die Entwicklung antifaschistischer Bestrebungen vor und nach 1933 und begründet stichhaltig, dass es nicht Aufgabe einer antifaschistischen Bündnisorganisation wie der VVN sein könne, im Sinne einer Partei oder einer parteipolitischen Organisation zu wirken und dezidiert weltanschauliche Positionen zu vertreten. In der Tat liegt die Eigenart der VVN gerade darin, für die unterschiedlichsten Zugänge zum Antifaschismus offen zu sein. Dieses pluralistische Verständnis ist den historischen Erfahrungen nahezu aller nichtfaschistischen Kräfte vor und nach der Niederlage des Faschismus geschuldet; sie alle hatten verhängnisvolle Fehler begangen und dies mehr oder weniger selbstkritisch eingeschätzt: vom Scheitern der Antifaschistischen Aktion (KPD) über das Vertrauen auf Weimarer Verfassungsnormen (SPD) bis zur Politik des »kleineren Übels NSDAP« (bürgerliche Parteien).

Im »Schwur von Buchenwald« zeigt sich für uns diese Absage an das frühere Gegeneinander und stattdessen der Wille, nun gemeinsam, ohne jede Ausgrenzung, ohne jeden Wahrheitsanspruch, ohne jede Instrumentalisierung für eine weltanschauliche Zielsetzung, den »Nazismus mit seinen Wurzeln zu vernichten«. Das Bemühen, jenen »antifaschistischen Konsens« von 1945 zu beschreiben, ist jedoch nicht einfach, weil er nirgends explizit in einer gemeinsamen programmatischen Erklärung formuliert worden ist.

So sind viele Zielsetzungen letztlich unscharf und wurden und werden unterschiedlich bewertet; aber diese Offenheit war notwendig, galt es doch, die unterschiedlichen Positionen zusammenzuführen und einen gemeinsamen Nenner zu finden und zu erhalten. Folglich gab es auch unterschiedliche Vorstellungen davon, was unter »Wurzeln des Nazismus« zu verstehen ist: Für die einen waren das eher die Beseitigung der Freiheitsrechte oder die NS-Propaganda oder das soziale Elend, für die anderen waren es die Beseitigung des Rechtsstaates, die Abkehr vom Christentum oder die autoritäre Tradition in Deutschland oder die bürgerliche kapitalistische Gesellschaft. Diese unterschiedlichen Sichtweisen sollten jedoch nicht trennen, sondern verschiedene Zugänge zum gemeinsamen Handeln ermöglichen.

Aber inhaltlich lässt sich doch aus Zukunftsprogrammen des Widerstandes, aus dem Potsdamer Abkommen, Verlautbarungen von Ausschüssen und von ersten VVN-Gruppen, aus ersten Parteiprogrammen und Beratungen zur Hessischen oder zur Bayerischen Verfassung Grundzüge jener »Welt des Friedens und der Freiheit« erkennen: eine Gesellschaft, in der volle demokratische Freiheiten und soziale Gerechtigkeit für alle Menschen gewährleistet, wirtschaftliche Machtkonzentration verhindert, konsequente Friedenspolitik gesichert, alle Bereiche demokratisch organisiert und jegliche faschistische Propaganda und Aktivität ausgeschaltet sein sollten.

Dieser »Kompromisscharakter« betraf auch gerade die Frage der wirtschaftlichen Orientierung. Breite Übereinstimmung gab es, analysiert man die einschlägigen Dokumente, dass Kapitalkonzentration und monopolartige Unternehmen zu beseitigen und Schlüsselindustrien zu sozialisieren seien, weil der politische Machtmissbrauch im Faschismus offen zutage getreten war bzw. das Gemeinwohl das erfordere.

Diese weitverbreitete »antimonopolistische« Orientierung lässt sich aber nicht mit einer durchgängig antikapitalistischen Orientierung gleichsetzen. Der Hinweis auf das Ahlener Programm von 1947 (in der Einleitung: »Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden«) nützt hier nichts, denn dieses Programm zeigt im Hauptteil – genauso übrigens wie die ersten Aufrufe der KPD und der SPD vom Juni 1945! – eben gerade die Abwehr monopolartiger Gebilde zur Sicherung einer freien, am Gemeinwohl orientierten Privatwirtschaft, und wendet sich dezidiert gegen Planwirtschaft. Wenn »Kapitalismus« kritisiert wurde, dann war hier der »freie, ungezügelte Kapitalismus« von Großkonzernen gemeint. Deren Beseitigung entsprach in der Tat der Meinung breiterer Kreise. Dafür, aber nicht für generelle »antikapitalistische« Überzeugungen stehen auch die entsprechenden wirtschaftspolitischen Bestimmungen der Hessischen Verfassung.

Deshalb: »Antikapitalistische Überzeugungen« gehörten damals sehr wohl zum Spektrum der verschiedenen Kräfte (vor allem aus der Arbeiterbewegung), können aber nicht einfach als Bestandteil des »antifaschistischen Konsens« der unmittelbaren Nachkriegszeit bestimmt oder gar als zentrale »Wurzeln« des damaligen Schwurs von Buchenwald gedeutet werden. Diese Breite wurde damals nicht als Ausgrenzung, sondern als Chance gesehen.

So könnten wir es auch heute halten: Unterschiedliche Zugänge und kontroverse, aber solidarische Diskussionen fördern – aber niemanden ausgrenzen durch enge, weltanschaulich und parteipolitisch geprägte Festlegungen. Diese Balance immer wieder zu finden, ist schwer genug, aber lohnend!