Die EU opfert ihre Werte

geschrieben von Ulrich Schneider

13. September 2016

Seit dem Militärputsch Mitte Juli 2016 hat sich die politische Situation in der Türkei verschärft. Schon vorher betrieb die Regierung unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan einerseits eine zunehmend expansionistische Politik mit Unterstützung der IS-Truppen in Syrien, andererseits schränkte sie in Inneren demokratische Freiheiten, insbesondere die Pressefreiheit, ein. Der Putsch, der im Kern aus der Konkurrenz zwischen zwei reaktionären Machtblöcken innerhalb der Türkei resultierte, hatte nicht das Ziel, die Verhältnisse innerhalb des Landes demokratischer zu gestalten. Sein Scheitern wird von Erdoğan genutzt, seine Macht mit antidemokratischen Mitteln und unter Aufhebung der grundlegenden Freiheitsrechte zu sichern.
Zehntausende Lehrer, Richter und Leiter von Universitätsfakultäten sind bereits entlassen, viele Soldaten inhaftiert. Angeblich richten sich diese Maßnahmen gegen Anhänger der Gülen-Bewegung. Faktisch setzen sie die Verfolgung der gesamten Opposition fort. Immer neue Einschränkungen der demokratischen Freiheiten und Menschenrechte werden angeordnet. Akademikern wird die freie Ausreise untersagt, tausende Reispässe werden annulliert, etwa 60.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes haben bereits ihre Arbeitsplätze verloren. Über 50 Zeitungen und andere Medien verloren ihre Zulassungen, so dass die öffentliche Meinung nur noch von den Regierungsmedien beherrscht wird. Außerdem geht die polizeiliche und militärische Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung im Südosten der Türkei in unverminderter Härte weiter.
Auffällig ist, dass es Erdoğan und seiner HDP gelungen ist, den Machtkampf durch eine breite Mobilisierung seiner Anhängerschaft zu gewinnen. Durch Großkundgebungen wie in Istanbul oder in Köln versucht er, die Ablehnung des Militärputschs für seine politischen Ziele zu funktionalisieren.
In dieser Situation üben wir als Antifaschisten politische Solidarität mit allen Demokraten in der Türkei, den Gewerkschaften, den verfolgten politischen Parteien, den demokratischen Medien und den Organisationen der Zivilgesellschaft. Deren Handlungsfreiheit muss wieder hergestellt werden! Der Krieg gegen die kurdische Bevölkerung muss gestoppt werden. Wir sind solidarisch mit den Menschen in der Türkei, die sich gegen den Militärputsch und einen autoritären, islamistischen Staat im Sinne von Staatspräsident Erdoğan wehren.
Unsere Forderungen richten sich auch an die Europäische Union, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit sowie das Recht sich frei zu versammeln, sich friedlich zu äußern oder der eigenen Religion nachzugehen, auch gegenüber der türkischen Regierung einzufordern. Diese Werte dürfen nicht für einen drei Milliarden Euro schweren Deal zu Lasten von Kriegsflüchtlinge geopfert werden.