Regeln für Revolutionäre

geschrieben von Thomas Willms

14. März 2017

Die US-Opposition formiert sich

Die sofortigen und massiven Proteste gegen die Politik Donald Trumps zeigen eine US-Oppositionsbewegung, die bei weitem stärker ist als alles, was in Deutschland je auf die Beine kommt. Das ist kein Zufall, sondern Ergebnis langjähriger Organisationsarbeit in den Bereichen Antirassismus, Umweltschutz usw.. All diese Bewegungen wiederum fanden Anfang 2015 in der Kandidatur des altbekannten Außenseiters Senator Bernie Sanders um die Position des demokratischen Präsidentschaftskandidaten einen Fokus. Sanders unterlag im Juli 2016 auf dem Nominierungsparteitag Hillary Clinton knapp mit 46%. Nicht wenige halten dies für eine wesentliche Ursache für den späteren Sieg Trumps.
Becky Bond und Zack Exley, die Architekten des erstaunlichen Erfolges der Sanders-Kampagne, warfen noch im November 16 eine Betriebsanleitung unter dem unbescheidenem Titel »Regeln für Revolutionäre« auf den Markt, um ein Hilfsmittel für die nächsten linksoppositionellen Kampagnen und letztlich den nächsten Sturm auf das Weiße Haus bereit zu stellen.
»Becky« und »Zack« schießen sich in 22 kurzen Kapiteln die Bälle zu wie austrainierte Fußballstürmer. Ihre Thesen sind streitlustig, immens fokussiert und von einer rücksichtslosen Eskalationsbereitschaft. Revolutionär sind nicht die politischen Ziele des Senators (z.B. eine Krankenversicherung für alle oder gebührenfreies Studium), dafür aber die Bereitschaft es mit dem »big money« aufzunehmen und dafür eine echte Massenbewegung auf die Beine zu stellen.
Die Zahlen der eigentlich hoffnungslos unterlegenen Sanders-Kampagne sind in der Tat unerhört: 2.700 Massenveranstaltungen und 75 Millionen (!) Wähler-Telefonanrufe wurden innerhalb weniger Monate durchgeführt und das nahezu ohne hauptamtlichen Apparat. Funktionieren konnte das nur, da nicht nur die üblichen Protest-Milieus, sondern z.B. die nationale Vereinigung der Krankenschwestern und Scharen von gut ausgebildeten, aber bislang unpolitischen Aktivisten hinzusprangen.

Becky Bond/Zack Exley: Rules for Revolutionaries. How Big Organizing can change everything. , November 2016, 202 Seiten, 16,99 €

Becky Bond/Zack Exley: Rules for Revolutionaries. How Big Organizing can change everything. , November 2016, 202 Seiten, 16,99 €

Der Sandersche Organisationsansatz ist den traditionellen Methoden genau entgegengesetzt. Üblich sind heute einerseits hohe Ausgaben für Fernsehwerbung, andererseits Methoden die dazu dienen, das Elektorat in immer kleinere Segmente zu zerlegen und gezielt anzusprechen. Die Trump-Kampagne hat diesen Ansatz mit den Technologien des »big data« extrem zugespitzt. Millionen von Datensätzen aus den sozialen Medien (z.B. »likes« bei Facebook) ermöglichten es ihr, nicht mehr nur Gruppen wie »weiße männliche katholische Busfahrer aus dem Mittleren Westen«, sondern tatsächlich einzelne Wähler nach psychologischen Gesichtspunkten gezielt anzusprechen.
»Big organizing« tut genau das Gegenteil. Zwar baut auch sie auf intensive Nutzung von Software, aber nur in dem Sinne, dass diese es erlaubt, Massen von Freiwilligen innerhalb kürzester Zeit in Großveranstaltungen zusammen zu bringen und sie sofort in relevante politische Tätigkeit zu versetzen. Unvermeidliches Chaos wird lustvoll umarmt und als Quelle neuer Prozesse verwendet. Die These zu diesem Problem lautet z.B.: »In einer erfolgreichen Bewegung, Kampagne oder Revolution wächst und verändert sich alles zu schnell, als dass es Sinn macht, langfristige detaillierte Pläne zu machen. Um aber wirklich groß zu werden, müssen Prozesse immer komplexer werden. Lass Komplexität wachsen in dem du praktische Probleme mit engagierten Aktivisten löst.« Es folgen Beispiele, die deutlich machen, dass es in der Sanders-Kampagne etwa so entspannt zuging wie in einer Hotelküche fünf Minuten vor dem Hochzeitsbuffet.
Zwiespältig ist der demokratische Eigenanspruch. Einerseits kann jede und jeder sofort der Horde beitreten, innerhalb kürzester Zeit zu einem »super volunteer« werden und Leitungsfunktionen übernehmen. Andererseits ist kein Raum für inhaltlichen Widerspruch vorgesehen und de facto innerhalb einer Nominierungskampagne auch nicht möglich. Die gemeinsamen Inhalte werden für gegeben angenommen. Es bleiben nur die Optionen Mitmachen oder Gehen. Auf gar keinen Fall will man sich in den eigenen Strukturen mit destruktiven, dominierenden Klugschwätzern abgeben. Die bekommen gesagt, dass sie gehen sollen und zwar mit der richtigen Ansage, dass es nicht um die Unterdrückung eines Einzelnen, sondern um die Befreiung aller anderen Freiwilligen geht.
Insgesamt denkt man bang an die Freiwilligen, die wie humanoide Pyrotechnik eingesetzt wurden (anzünden, 30 Sekunden glitzern und dann qualmend und ausgebrannt am Straßenrand liegenbleiben). Und doch ist man froh, dass Trump ganz sicher eine äußerst ungemütliche Massenopposition bevorsteht.