Vom Recht, Rechte zu haben

23. März 2017

Ernst Grubes Rede gegen das bayerische »Integrationsgesetz«

Seit Beginn dieses Jahres ist in Bayern ein »Integrationsgesetz« in Kraft, das im Dezember 2016 der Landtag nach einer 16stündigen Debatte mit der CSU-Mehrheit im Parlament beschlossen hatte. Gegen dieses »Ausgrenzungsgesetz«, wie es von vielen, die sich dagegen engagieren, genannt wird, gab und gibt es nach wie vor massiven Protest. Und Initiativen, dem »Gesetz, in dem die CSU gegen erbitterte Widerstände von Opposition, Kirchen, Gewerkschaften und Verbänden auch den Begriff einer ›Leitkultur‹ verankert hat« (Der Spiegel) auch mit juristischen Mitteln entgegenzutreten. Im Vorfeld der parlamentarischen Auseinandersetzungen fand am 22. Oktober eine große Demonstration und Kundgebung in München statt, bei der auch der Holocaust-Überlebende Ernst Grube eine Rede hielt. Sie hat bis heute nicht an Aktualität verloren:
»In einigen Wochen werde ich 84 Jahre alt. Ich bin als Kind einer jüdischen Mutter in München geboren. In meiner Erinnerung haben sich Ausgrenzung, Verfolgung und Rechtlosigkeit tief eingeprägt. 1938 – ich war noch keine sechs Jahre alt – wurde meine Familie nach dem Abriss der Synagoge aus der Wohnung vertrieben. Wir hatten kein Recht auf Wohnung!
In ihrer Not brachten unsere Eltern ihre drei Kinder ins jüdische Kinderheim in der Antonienstrasse in Schwabing. Unsere Familie wurde auf Jahre hinaus getrennt. Eine Familienzusammenführung gab es nicht. Der Schulbesuch wurde erschwert und später ganz verboten. Wir hatten kein Recht auf Bildung.
Durch die Verordnungen und Ausführungsbestimmungen der Nürnberger Gesetze von 1935 waren wir keine Bürger mehr. Reichsbürger konnten nur solche Menschen sein, die den rassistischen Kriterien entsprachen.
Wir waren ›Juden‹, ›Halbjuden‹, ›Vierteljuden‹, ›Zigeuner‹… Wir drei Grube-Kinder wurden von den Behörden der Stadt München als ›Geltungsjuden‹ eingestuft. Nach diesen Nazikategorien vollzog sich die zeitliche Abfolge der Deportation und Vernichtung.
Am 20. November jährt sich der Tag zum 75. mal, an dem der erste Transport aus München mit 998 jüdischen Bürgerinnen und Bürgern nach Kaunas in Litauen fuhr. Niemand hat überlebt.
Das jüdische Kinderheim in München wurde aufgelöst, ›arisiert‹, dem ›Lebensborn‹ übereignet. Wir, die wenigen Kinder, die noch nicht deportiert waren, kamen in die Zwangsghettos Milbertshofen und Berg am Laim. Nach Auflösung der Ghettos kamen wir zu den Eltern. Im Februar 1945 wurden wir Kinder mit unserer Mutter ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Die drei Schwestern meiner Mutter, deren Ehemänner und Kinder wurden in den Vernichtungslagern des Ostens ermordet. Nie wieder !!!
Heute kommen Menschen zu uns aus Kriegsgebieten und aus Ländern, in denen sie unterdrückt und verfolgt wurden und keine Existenzgrundlage für sich sehen. Die Fluchtursachen sind auch ›Made in Germany‹.
Wahrscheinlich ist es meine Erinnerung, die mich alarmiert und mit Empörung auf dieses so genannte Integrationsgesetz schauen lässt. Schon die diffamierende, Feindbilder schaffende Sprache zeigt das: ›Asylmissbrauch, Wirtschaftsflüchtlinge, Ausländerkriminalität‹ … Das ist Wasser auf die Mühlen der rassistischen und nazistischen Bewegungen.
›Integration‹ qua ›Leitkultur‹ ist der Kern dieses Gesetzentwurfes. ›Integration‹ heißt hier: Unterordnung, Verbote, Entzug von Rechten und Lager.
›Leitkultur‹ heißt hier: Du musst deine eigene Kultur weglegen, Du musst sie vergessen. Du musst so leben, wie wir uns das vorstellen.

Welche Eiseskälte, welche Enge, welche Blindheit – als handle es sich um irgendwelche bedrohlichen Wesen, die man irgendwie in Schach halten muss. Und nicht um Menschen wie du und ich.
Weit entfernt ist das von dem, was die Schöpfer der Bayerischen Verfassung vor 70 Jahren als Grundsätze für unser Zusammenleben dort festgeschrieben haben. Experten belegen, dass das geplante Gesetz weder mit der Bayerischen Verfassung, noch mit unserem Grundgesetz, noch mit der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vereinbar ist.
Nie wieder! Asyl ist ein Menschenrecht, das älteste der Menschheit überhaupt. Es geht um das Recht, Rechte zu haben. So hat es die jüdische Philosophin und von den Nazis vertriebene Emigrantin Hannah Arendt gefordert. Kämpfen wir gemeinsam.«

»Ernst Grube – Zeitzeuge. – Von einem der nicht aufgibt.« So heißt ein neuer Film von Christel Priemer und Ingeborg Weber, der am 31. Januar im Münchner NS-Dokumentationszentrum erstmals öffentlich vorgestellt wurde. Ein beeindruckendes Filmporträt über einen bis heute Unermüdlichen, wenn es um historische Aufklärung geht. »Entstanden ist«, stand im Programmheft des NS-Dokumentationszentrums in der Ankündigung des Film- und Diskussionsabends »ein berührendes Porträt über den Münchner Juden und Kommunisten Ernst Grube und ein Zeichen für Toleranz, Freundlichkeit und Abkehr von Gewalt und Krieg.«

Die Filmemacherin Christel Priemer hat über viele Jahre hinweg für ARD, ZDF und Dritte Fernsehprogramme Dokumentationen und Reportagen gedreht. Als gemeinsame Arbeit mit der Journalistin Ingeborg Weber entstand 1998 das Filmporträt »Angela Davis – eine Legende lebt«. – In den nächsten Wochen und Monaten sind weitere Vorführungen des Grube-Films, unter anderem in der KZ-Gedenkstätte Dachau, vorgesehen. In einer der nächsten Ausgaben der »antifa« werden wir uns ausführlicher mit dem Film und damit verbunden mit Vorführ- und Bezugsmöglichkeiten befassen.