Antifaschistische Gegenstrategien

geschrieben von Cornelia Kerth

29. März 2017

Anfang April tagt der 6. Bundeskongress der VVN-BdA in Frankfurt/Main

Deutsche Großmachtträume platzen lassen. Rechts-entwicklung stoppen. Menschenrechte verteidigen. Unter diesem Motto steht der Bundeskongress der VVN-BdA, der am 1. und 2. April 2017 im Frankfurter Haus Gallus stattfinden wird.
Seit unserem letzten Bundeskongress 2014 hat sich die politische Situation, in der wir uns positionieren müssen, erheblich verändert. Damals haben wir beim Kongress erstmals die neueste Version unserer Ausstellung »Neofaschismus in Deutschland« vorgestellt, in der die AfD nur als Randnotiz vorkam. Es gab noch keine Pegida-Aufmärsche und brennende Unterkünfte von Geflüchteten schienen der Vergangenheit anzugehören.
Das alles hat sich inzwischen geändert. Anders als häufig dargestellt allerdings nicht erst nachdem die Bundeskanzlerin die Öffnung der Grenzen für Hunderttausende verzweifelte Menschen anwies, die auf der Flucht vor Kriegen, Verfolgung und Elend versuchten über die »Balkanroute« den reichen (Nord-)Westen Europas zu erreichen und dort auf Ablehnung, Verweigerung von Schutz und Hilfe und teilweise offene Pogromstimmung gestoßen waren. Schon ein knappes Jahr vorher hatten Ende 2014 die ersten Pegida-Märsche in Dresden stattgefunden und die Zahl derer, die dort und anderswo gegen »Merkel« und die »Lügenpresse« demonstrierten und beide offensichtlich mit der halluzinierten »Islamisierung des Abendlandes« in Verbindung brachten, war auf 20- bis 30.000 an jedem Montag gestiegen.
Auch der Sieg des völkisch-nationalen Teils der AfD über die »Euro-Kritiker« hatte schon im Sommer 2015 den Weg für Gauland, Höcke und Co. geebnet. Insofern stellt die weit verbreitete Interpretation der rasanten Entwickung einer extrem rechten Partei als parlamentarischer Arm einer ebensolchen Bewegung als Folge einer »Flüchtlingskrise« eher eine Verharmlosung des Phänomens dar als eine Erklärung, auf deren Grundlage wirksame Gegenstrategien entwickelt werden können.
Unbestreitbar bilden die Erosion des Sozialstaats zugunsten verallgemeinerter Konkurrenz in der »Ellbogen-Gesellschaft« in allen westlich-kapitalistischen Staaten eine wesentliche Voraussetzung für die Abkehr vieler Menschen von einem parlamentarischen System, das sein Versprechen – einen gewissen Ausgleich der widerstreitenden sozialen Interessen zu organisieren – nicht mehr einlöst. Kurz: die seit der Sinus-Studie in den 1980er Jahren bekannte »latente« Zustimmung zu extrem rechten Positionen liegt nun offen zutage und die darauf basierende Bewegung und ihre Partei sind zu einer wesentlichen Bedrohung für alles geworden, was wir als die antifaschistischen Grundlagen dieses Staates ansehen und für alle, die in deren völkischer Weltsicht keinen Platz haben.
Dieser Entwicklung haben wir zwei unserer drei Diskussionsschwerpunkte gewidmet: »Die Mitte radikalisiert sich« und »Die äußerste Rechte formiert sich neu.«
Die erste Losung für unseren Kongress heißt indes »Deutsche Großmachtträume zum Platzen bringen« und weist darauf hin, dass die Rechtsentwicklung in unserer Gesellschaft durchaus auch von den aktuell Regierenden vorangetrieben wird. Schon 2014 haben wir die eindeutige und massive Parteinahme der Bundesregierung für die auch von Faschisten befeuerte und gesteuerte Maidan-Revolte in Kiew kritisiert und in die Bestrebungen zur Ausweitung der deutschen Vormachtstellung in Europa eingeordnet. Inzwischen ist die Bundeskanzlerin zur »Patin« des türkischen Diktators Erdogan geworden, der mit den Milliarden, die er aus Europa für Türsteher-Dienste gegen Flüchtende kassiert, seine Anhängerschaft alimentiert und Gegner mit Willkür und Terror verfolgt. Diesem Modell folgend verhandelt Deutschland mit weiteren Diktatoren, wie sie aufgerüstet werden können, um diejenigen, die vor ihnen fliehen wollen, daran zu hindern sich auf den Weg in Richtung Europa zu machen.
Unterdessen hat die Gauck‘sche Ansage von der größeren militärischen »Verantwortung« Deutschlands, die seiner gewachsenen politischen Bedeutung folgen müsse, materielle Gestalt angenommen. Bis 2030 soll sich der Rüstungsanteil im Bundeshaushalt verdoppeln, die Bundeswehr soll personell deutlich verstärkt und mit neuen Waffensystemen ausgerüstet werden, um an immer mehr Kriegsschauplätzen »deutsche Interessen« zu vertreten.
»Deutschland rüstet auf« heißt dementsprechend unser erstes Thema am Samstagnachmittag. Alle drei Themen des Samstagnachmittags sollen an ca. zehn Tischen unter den Aspekten »Fragen – Widersprüche – Schlussfolgerungen« diskutiert werden; die Schlussfolgerungen sollen als Anforderungen an unsere Arbeit in den nächsten drei Jahren formuliert und dokumentiert werden, so dass die Antragskommission sie über Nacht in unseren Leitantrag einarbeiten kann.
Wir freuen uns, dass wir ausgewiesene Experten gewinnen konnten, die uns zunächst mit jeweils einem Input in die Themen einführen und anschließend in den Diskussionen zur Verfügung stehen.
Alle Mitglieder sind herzlich eingeladen, sich an den Diskussionen zu beteiligen.