Unheilbar destruktiv?

geschrieben von Uta Ottmüller

21. September 2017

Henri Parens über die Vermeidbarkeit von Kriegen

Sind Kriege unvermeidbar? Können die Menschen nicht anders? 1932, zwischen den verheerenden Weltkriegen, hat der Atomphysiker Albert Einstein diese Frage an den Begründer der Psychoanalyse gerichtet. Sigmund Freuds Antwort fiel sorgenvoll aus, denn in seiner Triebtheorie nahm er an, dass die Libido, als prosozialer Lebenstrieb, im Todestrieb mit einem machtvollen Gegenspieler konfrontiert sei. Weil dieser seine Zerstörungsimpulse sowohl nach innen wie nach außen richte, müsse er schon im Interesse der Selbsterhaltung – durchaus auch lustvoll – nach außen gelenkt werden. Ob der Pazifismus, als Produkt der Kulturentwicklung, sich dagegen durchsetzen könne, sei deshalb ungewiss.

Henri Parens, Psychoanalytiker und Überlebender des Holocaust, leitet sein umfangreiches und argumentativ eindrucksvolles Plädoyer für die Vermeidbarkeit von Kriegen mit Freuds Antwort an Einstein ein, um dann die »extreme Destruktivität«, die mit dem Todestriebbegriff gemeint war, als bösartige Variante des Narzissmus zu erklären.

Henri Parens: Krieg ist nicht unvermeidbar. Psychoanalytische Überlegungen zu Krieg und Frieden, Psychosozial-Verlag 2017 402 Seiten 39,90 €

Henri Parens: Krieg ist nicht unvermeidbar. Psychoanalytische Überlegungen zu Krieg und Frieden, Psychosozial-Verlag 2017 402 Seiten 39,90 €

Seine jahrzehntelange Forschungsarbeit mit Kleinkindern und ihren Eltern brachte ihn zu der Überzeugung, dass die Existenz eines allen Menschen angeborenen Todestriebs nicht bewiesen werden kann. Ausgehend von der »Nesthockerqualität des menschlichen Kleinkindes«, das proportional länger als alle anderen Lebewesen auf umfassende Betreuung angewiesen ist, beschreibt er, wie sich das Selbstwertgefühl des Kindes – also sein »gutartiger Narzissmus« – in der liebenden Fürsorge seiner Eltern spiegelt und das Kind seinerseits eine aktiv liebende Bindung eingeht. Je weniger die Eltern – aus welchen Gründen auch immer – die Bedürfnisse ihres Kindes verstehen und beantworten können, desto stärker entwickelt sich bei diesem eine frühe Prägung zu feindseliger Destruktivität, Gier und Neid. Parens beschreibt ausführlich die qualitativen und lebenszeitlichen Varianten des Narzissmus bis hin zu einem »bösartigen Hypernarzissmus«, den er an den Charakteren von Hitler und Stalin illustriert.

Seine individual- und familienpsychologischen Ausführungen verbindet Parens u.a. mit der Großgruppenpsychologie des Konfliktforschers und -moderators Vamik Volkan, der eine viel rezipierte Theorie des Zusammenhangs von individueller und großgruppenspezifischer Identitätsbildung entwickelt hat. Volkans Konzept des »gewählten Traumas«, das eine vergangene, von der Gruppe als ungerecht empfundene und rituell wiederholt betrauerte Niederlage bezeichnet, bietet einen aufschlussreichen Zugang zum Selbstverständnis konfliktbereiter Großgruppen. Als »narzisstische Wunde« weckt und fördert das gewählte Trauma Racheimpulse, die sich im Lauf der Geschichte benachbarter Gruppen gegenseitig aufschaukeln können. Diese Racheimpulse, die so als Reparaturwünsche für eine beschädigte Gruppenidentität erscheinen, gehen jeweils einher mit der Überbewertung der eigenen und der Verachtung der anderen Gruppe. Parens entwickelt hierzu theoretische Varianten des Vorurteils, die er aus mehr oder weniger bösartigen Varianten des Narzissmus heraus erklärt. Er verweist dazu auf gruppenspezifisch vorherrschende harte Erziehungsregeln wie etwa die von Katharina Rutschky für Deutschland beschriebene »Schwarze Pädagogik«.

Eine besondere Rolle für den gruppenpsychologischen Umschlag vom gutartigen zum feindseligen oder bösartigen Vorurteil spielt dabei das politische Geschehen unmittelbar nach bewaffneten Großgruppenkonflikten, wobei es häufig zu Gefühlen des Verrates und der Benachteiligung kommt. Parens vergleicht dazu ausführlich die Reaktionen Deutschlands nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Am Ende des Ersten Weltkriegs wurde der Versailler Vertrag, bei dessen Abschluss »kein einziger feindlicher Soldat den Fuß auf deutsche Erde gesetzt hatte«, wegen seiner harten, die Not des Krieges verlängernden Reparationsforderungen als extrem ungerecht empfunden. Weil er auf die revolutionär erzwungene Abdankung des deutschen Kaisers folgte, entstand demnach die »Dolchstoßlegende«, die nun den Feind im Inneren suchte und die rechtsradikale Entwicklung förderte. Diese wiederum habe, u.a. verstärkt durch verschärfte Reparationsforderungen, zur Machtergreifung Hitlers, Wiederaufrüstung, dem Zweiten Weltkrieg und dem Massenmord an den Juden und weiteren Opfergruppen geführt. Ganz anders reagierten die Siegermächte und insbesondere die USA nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit dem Marshallplan förderten sie nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die demokratische Entwicklung.

Obwohl Parens in seinem vielschichtigen Buch immer wieder auf Deutschland und den Holocaust zurückkommt, sind die Beispiele für seine »multi-trends-Theorie der Aggression« global und vielfältig und er rezipiert ausführlich die international vergleichende Literatur zu Krieg und Genozid. Hervorzuheben ist ein ausführlicher Schlussteil, in dem er Wege zur Vorbeugung von Kriegen empfiehlt. Die Forderung nach weltweit institutionalisierter Elternbildung zeigt sich darin als sein ureigenstes Anliegen.

In Anbetracht des seither enorm angewachsenen Zerstörungspotentials unserer Waffensysteme und einer Vielzahl politischer Probleme hat die Frage nach einer womöglich unheilbar destruktiven Natur des Menschen nichts von ihrer Brisanz verloren.