Deutschland rüstet auf

geschrieben von Lühr Henken

27. September 2017

Was kann die Friedensbewegung dagegen setzen? – Von Lühr Henken

Wir Friedensbewegte wünschen uns, dass Antifaschistinnen und Antifaschisten aktiver Teil des Kampfes um den Frieden sind. Denn der Satz »Deutschland rüstet auf« kann nichts Gutes bedeuten. Das lehrt die leidvolle Geschichte des letzten Jahrhunderts.

Ein Blick in die Geschichte

Die Bundeswehr begab sich mit dem Ende der Blockkonfrontation 1990/91 in neues Fahrwasser. Im Rahmen der NATO-Umorientierung auf »Out-of-Area«-Einsätze gab es auch neue Richtlinien.

Erstes offizielles Dokument waren die geheimen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) von 1992, die festlegten, so genannte Krisenreaktionskräfte aufzustellen, die außerhalb des NATO-Gebiets, also »out of area«, eingesetzt werden sollten. Ein Novum. Erstmals wurde darin als »vitales Sicherheitsinteresse« Deutschlands definiert: »die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und der ungehinderte Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt.« 2008 konkretisierte das die CDU/CSU-Bundestagsfraktion: »Die Herstellung von Energiesicherheit und Rohstoffversorgung kann auch den Einsatz militärischer Mittel notwendig machen, zum Beispiel zur Sicherung von anfälligen Seehandelswegen oder von Infrastruktur wie Häfen, Pipelines, Förderanlagen etc.« Wie brisant und hoch umstritten solche Ansinnen sind, machte der Rücktritt Bundespräsident Köhlers im Mai 2010 deutlich, als er öffentlich für den Einsatz der Bundeswehr für wirtschaftliche Interessen warb. Und prompt einen Sturm der Entrüstung erntete. Merkel ließ ihn im Regen stehen und Köhler nahm seinen Hut.

Der Text basiert auf dem Vortrag, den der Autor auf dem 6. Bundeskongress der VVN-BdA am 1.4.2017 in Frankfurt am Main gehalten hat. Er ist vollständig veröffentlicht in der Broschüre, die über das Bundesbüro bezogen werden kann.

Der Text basiert auf dem Vortrag, den der Autor auf dem 6. Bundeskongress der VVN-BdA am 1.4.2017 in Frankfurt am Main gehalten hat. Er ist vollständig veröffentlicht in der Broschüre, die über das Bundesbüro bezogen werden kann.

In den gültigen VPR von 2011 heißt es dazu nach wie vor: »Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehört, […] einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.«

Durch kleine sprachliche Kunstgriffe wird die Bedrohlichkeit der Aussagen erst richtig deutlich: Man ersetze die Wörter »Deutschland« und »deutsches« durch Namen anderer Staaten. Dann lauten zwei Passagen so: »Zu den chinesischen Sicherheitsinteressen gehört, […] einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.«

»Russland ist bereit, als Ausdruck nationalen Selbstbehauptungswillens und staatlicher Souveränität zur Wahrung seiner Sicherheit das gesamte Spektrum nationaler Handlungsinstrumente einzusetzen. Dies beinhaltet auch den Einsatz von Streitkräften.«

Seit 1992 fanden diverse Umrüstungen und Neustrukturierungen der Bundeswehr statt. Die Soldatenzahl wurde abgebaut von damals rund 500.000 auf 240.000 im Jahr 2011. Die Wehrpflicht wurde ausgesetzt. Aktuell stehen knapp 180.000 Soldatinnen und Soldaten im Sold. Es ist eine Berufs- und Zeitsoldatenarmee mit nicht einmal 10.000 Wehrdienstleistenden. Die derzeitige Umstrukturierungsphase begann 2011 und hat das Ziel, die Zahl der Soldaten, die dauerhaft, also über Jahre, im Auslandseinsatz sind, von 7.000 auf 11.000 zu erhöhen. Einen Vorgeschmack, was Aufrüstung ist, lieferte Ursula von der Leyen mit ihrer Ankündigung, bis 2024 die Soldatenzahl auf 198.000 erhöhen zu wollen – Ein Plus von 11 Prozent.

1992 fand erstmals ein bewaffneter Bundeswehreinsatz im Ausland statt. Bis dahin hatte es nur humanitäre Einsätze ohne Bewaffnung gegeben. Von den militärischen seit 1992 sind 39 abgeschlossen. Daran waren kurzfristig bis zu 10.000 Soldaten gleichzeitig beteiligt. Aktuell sind es 16 Mandate mit knapp 3.800 Soldaten (Stand 20.3.17) auf drei Kontinenten und zwei Meeren. Insgesamt geht es der Regierung um möglichst viele Einsätze, um sich damit möglichst viel Einfluss zu sichern, aber bei den größeren Einsätzen auch darum, sich vor Ort festzusetzen. So in Afghanistan, aber auch in Nahost und in Nordafrika. Wobei sich Nord-Afrika allmählich zum Schwerpunktgebiet entwickelt.

Stärkste Macht Europas

Seit mehr als 20 Jahren ist ein ambitioniertes Aufrüstungsprogramm im Gang, das noch nicht abgeschlossen ist und viel Geld kostet. Hoch modern und ausgeklügelt ist es. Es geht um Erneuerung an Rumpf und Gliedern. Ausgerichtet am Ziel der militärischen Eingreiffähigkeit. Bei der Beschaffung wird »vom Einsatz her gedacht«.

Das Programm ist sehr umfangreich, hat mit technischen Problemen zu kämpfen, und verzögert sich dadurch – derzeit im Durchschnitt um dreieinhalb Jahre pro Rüstungsvorhaben. Aber die Waffen werden kommen.

Mit ihnen wird das Militär eines Landes aufgerüstet, das in der EU die ökonomisch stärkste Macht ist. Das Bruttosozialprodukt Deutschlands liegt um fast 20 Prozent über dem Großbritanniens und um beinahe 30 Prozent über dem Frankreichs, den beiden nächstgrößeren Volkswirtschaften Europas nach Deutschland. Die ökonomische Macht Deutschlands offenbarte sich im Umgang mit den Finanzkrisen insbesondere mit Griechenland, so dass von einer politischen Vormachtstellung oder einer deutschen Hegemonie in Europa gesprochen werden kann. Das Gerede von Gauck, Steinmeier und von der Leyen über die gewachsene Macht Deutschlands, die auch neue Verantwortung mit sich bringe, ist deshalb so gefährlich, weil Verantwortung mehr Militäreinsätze meint.

Aber hat denn die Bundeswehr überhaupt das Potenzial, mehr Auslandseinsätze machen zu können? Oder ist die Bundeswehr tatsächlich so marode, wie häufig medial kolportiert wird? Wenn die Rede davon ist, dass die LKW doppelt so alt seien wie ihre Fahrer, von über 500 Nachtsichtbrillen in einem Verband nur drei zu gebrauchen seien oder beispielsweise von 24 Haubitzen keine nutzbar sei. Ganz so schlimm kann es nicht sein. Hören wir dazu Heeresinspekteur Vollmer im Februar 2016. Er sagte: Das Heer verfügt »über modernes Gerät, welches uns angesichts sehr unterschiedlicher Bedrohungslagen in den verschiedenen Einsatzgebieten flexibel, reaktionsfähig, vor allem aber durchsetzungsfähig macht. Wir verfügen gerade hier über eine weitgehend bedarfsgerechte Ausstattung.«

Die Bundeswehr hat durch die vielen Auslandseinsätze vieles verschlissen, hat aber auch eine erhebliche Abrüstung erfahren.

Seit 1989 – zur Hochzeit des Kalten Krieges – ist am augenfälligsten in der BRD die Abrüstung der Kampfpanzer von 5.000 auf 225 heute oder von damals 210 Kampfhubschraubern auf 40. Auch 24 kleine BRD- U-Boote für die Ostsee sind verschwunden. Ein Krieg gegen Russland war unwahrscheinlich geworden. Dafür kam Neues – auch qualitativ Neues.

Neue Waffen für »moderne« Kriege

Hier Kurzcharakteristika neuer Waffensysteme und Ausrüstungen, aus denen auch abgelesen werden kann, wie sich der Charakter der Bundeswehr verändert hat und weiter verändern soll.

Von grundsätzlicher Bedeutung für die Umrüstung der Bundeswehr nach der Blockkonfrontation sind zwei zentrale innovative Systeme. Zum einen die so genannte Vernetzte Operationsführung mit Drohnen im Zentrum, und zum anderen der sogenannte strategische Lufttransport. Ich erkläre kurz die Begriffe.

»Vernetzte Operationsführung« heißt: Alle Soldaten, ob Kommando im Hauptquartier, Pilot, Panzerfahrer oder Infanterist, oder wer auch immer sonst, erhalten über ihr Computer-Display gleichzeitig dasselbe Lagebild. Welchen Nutzen hat das? Das verschafft einen Zeitvorteil gegenüber den Gegnern. Zeit für Entscheidungen, um im Krieg zu siegen. Dies setzt Drohnen als Aufklärungsmittel voraus und die sind schon vorhanden. Insgesamt -liefern etwa 586 reine Aufklärungsdrohnen als Bestandteile des Heeres Videos und Fotos in Echtzeit, meist tageszeitunabhängig aus dem Nahbereich und aus Entfernungen von bis zu 100 km. Darüber hinaus werden sechs Überwachungsdrohnen HERON 1 mit Reichweiten von 800 km in Afghanistan und neuerdings auch in Mali eingesetzt. Das Drohnenarsenal wird erweitert.

Von außerordentlicher Bedeutung sind dabei drei neue Projekte. Das erste heißt TRITON. Das bedeutet: Die Regierung will Großdrohnen des US-Typs GLOBAL HAWK für die elektronische Kampfführung beschaffen. Generalinspekteur Wieker hat beschlossen, dafür ab 2025 drei US-amerikanische TRITON zu kaufen, die ununterbrochen 40 Stunden lang in der Luft bleiben und dabei 25.000 km zurücklegen können. Mit den TRITON sollen aus 20 km Höhe Staats- und Militärführungen fremder Länder, ihre Standorte, Kommando- und Kommunikationswege ausspioniert werden. Das zweite Großdrohnenprojekt ist das AGS der NATO. Auch das sind Großdohnen des Typs GLOBAL HAWK. Es erfasst jedoch Bodenziele. Daran beteiligt sich die Bundesregierung mit einem Drittel der Kosten. Das ist schon überproportional. Das reicht ihr aber nicht. Zusätzlich ist hierfür von vier GLOBAL HAWK unter nationaler deutscher Verfügung die Rede. TRITON und GLOBAL HAWK sollen in Jagel bei Schleswig stationiert werden. Hinzu kommen als drittes Großprojekt bewaffnungsfähige Aufklärungsdrohnen, also Kampfdrohnen, zunächst in Israel oder in den USA geleast, spätere Modelle sollen in Europa hergestellt und gekauft werfen. Auch sie kommen nach Jagel.

»Strategischer Lufttransport«: Dazu sollen ab 2020 alle 53 bestellten Airbusse A 400 M zur Verfügung stehen. Sie ersetzen die – in der Tat – alten Transall. Ersetzen ist untertrieben. Sie verfünffachen die Lufttransportkapazität der Bundeswehr. Wegen der Luftbetankbarkeit der Flieger werden sogar weltweite Nonstopflüge möglich. Die Abmessungen und Tragkräfte der A 400 M sind sehr ausgeklügelt. So tragen sie zum Beispiel zwei Kampfhubschrauber TIGER oder einen Transporthubschrauber NH 90, einen Radpanzer BOXER oder einen Schützenpanzer PUMA oder 116 Fallschirmjäger. Die A 400 M sind Kampfzonentransporter, die weniger als ein Kilometer Gras- oder Schotterbahn zum Starten und Landen benötigen.

Noch kurz zu konkreten Vorhaben in Heer, Marine und Luftwaffe.

Ausbildungs- und Ausrüstungsschwerpunkt des Heeres ist die Aufstandsbekämpfung. Stadtkampf, Ortskampf, Häuserkampf werden eingeübt. Dafür wird eigens ein neuer Fuhrpark geschaffen, bestehend aus 400 geländegängigen Radpanzern BOXER und 350 neuen Schützenpanzern PUMA – beides sind internationale Spitzenprodukte, die auch exportiert werden sollen. Sie sollen eines Tages bis zu 11.000 Infanteristen transportieren, die mit High-Tech ausgerüstet werden. Die High-Tech-Ausrüstung kostet pro Soldat übrigens 150.000 Euro. Trainiert werden soll im eigens neu dafür gebauten über 100 Mio. teuren Übungszentrum »Schnöggersburg« in der Colbitz-Letzlinger Heide bei Magdeburg. Die Infanteristen sind in die »vernetzte Operationsführung« eingebunden. Übrigens: Das Heer soll neue LKW für 2,7 Milliarden erhalten.

Zur Marine auch nur ganz kurz:. Um es vorweg zu sagen: Die deutsche Marine konzentriert sich auf fremde Küsten und auf das Land dahinter. Die Ausrüstung ist entsprechend:

Als neuen Schiffstyp verfügt die Marine bereits über fünf Hochsee-Korvetten. Fünf weitere wurden im November kurzerhand für 1,5 Milliarden Euro bewilligt. Die Korvetten haben geringen Tiefgang und Tarnkappeneigenschaften und sind jeweils mit vier Marschflugkörpern für den Schiffs- und Landbeschuss ausgerüstet. Reichweite der Marschflugkörper: 250 km. Beschuss auf Land ist ein Novum für die deutsche Marine.

Im Bau sind vier Großfregatten F 125. Ihr Stückpreis beträgt aktuell 775 Mio. Euro. Das ist mehr als ein riesiges Kreuzfahrtschiff kostet. Es sind »Marathon«-Fregatten. Sie können zwei Jahre ununterbrochen auf See bleiben und sind multifunktional ausgelegt: Zur Piratenbekämpfung mit Bordhubschraubern und Speedbooten, auch Landbeschuss aus Kanonen mit 120 km Reichweite soll möglich werden. Alle vier sollen spätestens 2020 fertig sein.

Beschlossene Sache ist der Bau von sechs Mehrzweckkampfschiffen MKS 180. Sie kosten jeweils eine Milliarde Euro. Ihre Größe liegt zwischen Korvette und Fregatte. Auch sie sind multifunktional ausgelegt.

Und unter Wasser: Vorhanden sind schon sechs U-Boote des Typs 212. Und die haben es in sich. Wegen ihres von Außenluft unabhängigen Antriebs mittels Brennstoffzellen sind drei Wochen lange Tauchfahrten möglich. Dabei legen sie am Stück unter Wasser 20.000 km zurück. Sie sind leiser als Atom-U-Boote, somit quasi nicht zu orten. Sie stellen deshalb eine strategische Waffe zur Schiffs- und U-Boot-Bekämpfung und zur See- und Küstenüberwachung dar. Sie gelten als stärkste konventionell angetriebene U-Boote der Welt. Anfang Februar wurde der Bau von zwei weiteren U-Booten dieses Typs bewilligt. Ab 2025 werden es dann acht dieser U-Boote sein.

Die Neuvorhaben in Heer und Marine belegen eine weltweite Orientierung und die Absicht, militärisch überall eingreifen zu können. Ein weiterer Beleg für diese Orientierung ist das Radarsatellitensystem SAR LUPE. Mit ihm sind überall auf der Erde Allwetteraufnahmen möglich, die Objekte der Größe eines halben Meters identifizierbar machen. Diese Technik ist führend in der Welt. Das Nachfolgeprojekt für 900 Millionen Euro ist in Arbeit.

TORNADOS und EUROFIGHTER bilden das Rückgrat der bewaffneten Luftmacht der Bundeswehr. Sie dienen nicht nur der Luftverteidigung, sondern auch dem Luftangriff. 600 Marschflugkörper TAURUS können, von den Kampfflugzeugen abgesetzt, nach 350 km langem Alleinflug mittels der 500 Kilogramm schweren Gefechtsladung noch vier Meter dicken Beton durchschlagen.

MEADS ist ein taktisches Luftverteidigungssystem zur Sicherung von Feldlagern im Auslandseinsatz gegen Raketen und andere Flugkörper, das sich – anders als das vorhandene PATRIOT-System – leicht in Airbusse A 400 M verladen lässt. Die Kosten für MEADS: ca. vier Milliarden Euro, möglicherweise sogar das Doppelte.

Nun haben wir die Zeit seit 1990 holzschnittartig Revue passieren lassen. Was sagt uns das? Aus dem Aufgeführten wird klar, dass die Regierungen seit über zwei Jahrzehnten die Bundeswehr auf einen weltweiten Einsatz ausrichten und systematisch dafür eine qualitativ hocheffiziente Bewaffnung beschaffen, die dies ermöglicht.

Steigerung der Militärausgaben

Das kostet zusätzliches Geld. Bis zur Krise um die Ukraine hatte sich die Bundesregierung bezüglich einer Erhöhung des Rüstungshaushalts zurückgehalten. Aber dann machte sie sich direkt im NATO-Rat stark für höhere Militärausgaben. Beim NATO-Gipfel von Wales im September 2014 kam es zur Bekräftigung des Beschlusses, den die NATO seit 2002 auf dem Papier hat, die Militärausgaben auf einen Anteil von zwei Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hochzufahren. Der NATO-Gipfel formulierte: »Die Bündnispartner, deren Anteil vom BIP für Verteidigungsausgaben gegenwärtig unter diesem Richtwert liegt, werden: […] darauf abzielen, sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von 2 Prozent zuzubewegen, […] Das heißt, zwei Prozent ist nicht apodiktisch zu verstehen. Man kann auch darunter bleiben, nur das Bemühen um die Erreichung des Zieles muss erkennbar sein. Von der Leyen, gefolgt von Merkel und Seehofer bildet hier die Speerspitze. Sie orientieren auf zwei Prozent. Außenminister Gabriel und SPD-Kanzlerkandidat Schulz rücken davon ab.

Was bedeuten zwei Prozent des BIP für unser Land? Sehr viel. Der Einzelplan 14 für dieses Jahr liegt bei 37 Milliarden Euro. Das macht 1,2 Prozent des BIP von rund 3100 Milliarden Euro aus. Die Bundesregierung rechnet 2020 mit einem BIP von über 3.500 Milliarden. Setzt sich die Steigerung so bis 2024, dem Zieljahr, fort, wird das BIP dann bei 4.000 Milliarden Euro liegen. Zwei Prozent davon bedeuten dann den Wahnsinn von 80 Milliarden für Bundeswehr und Bundespolizei. So rechnet die NATO. 3,3 Milliarden verschlingt davon die Bundespolizei. Mit anderen Worten: Der Einzelplan 14 wird sich auf mehr als 75 Milliarden Euro verdoppeln – wenn es so kommt.

Wir kennen die jüngsten Umfragen. EMNID hat repräsentativ unmittelbar vor der Münchner Siko Mitte Februar ermittelt, dass sich »nur 25 Prozent der Befragten dafür aus(sprechen, L.H.), den deutschen Rüstungsetat […] zu erhöhen. Die Mehrheit der Befragten will mit 60 Prozent weder höhere Rüstungsausgaben noch ein stärkeres militärisches Engagement Deutschlands.« Mit anderen Worten: Befürworter von Aufrüstung stellen krass die Minderheit. Da wittert die SPD in Wahlkampfzeiten ein lukratives Thema. Gabriel warnt davor, dass in der Mitte Europas auf diese Weise ein »Millitärbulle« entstehen könnte. Laut FAZ »lehnte« er »auf dem SPD-Parteitag das Zwei-Prozent-Ziel ab. Er sprach von »gigantischen, in der Konsequenz falschen Zielen.« Und »Das Zwei-Prozent-Ziel sei‚ sicherheitspolitisch nicht zu begründen. Eine ›Verdopplung des Wehretats … werden wir in dieser Form nicht machen‹« sagte er.

Vergessen möchte er machen, dass das Zwei-Prozent-Ziel bereits im Weißbuch 2016 steht. Das Weißbuch ist ein Gemeinschaftswerk von Union und SPD zusammen. Darin heißt es gleich an zwei Stellen, dass Deutschland dem Ziel verpflichtet bleibe, seinen Wehretat ›langfristig‹ an die Zielgröße von zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) ›anzunähern‹. Nun gut, auch das klingt nicht apodiktisch.

Aber, gemeinsam verantworten CDU/CSU und SPD die krasse Steigerung des Militärhaushalts um 8 Prozent für dieses Jahr und die Eckwerte der Finanzplanung bis 2021. Demnach soll der Verteidigungshaushalt 2021 auf 42,3 Milliarden Euro steigen. Ein Plus von 14 Prozent, was durchschnittlich jährlich »nur« ein Plus von 3,5 Prozent bedeutet. Gabriel steht ausdrücklich zu diesen Erhöhungen. Allerdings: damit wäre das Ziel 2024 kaum erreichbar, denn Steigerungen danach um 20 Prozent jährlich, die dafür notwendig wären, scheinen utopisch. Allerdings legt der neue Bundestag die Politik bis dahin fest.

Noch eine Zahl ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. 130 Milliarden Euro. Diese Summe nannte von der Leyen Anfang letzten Jahres als den Betrag, der bis 2030 insgesamt ausgegeben werden müsse, um neue Waffen und Ausrüstungen für die Bundeswehr anzuschaffen. Das wären im Schnitt pro Jahr 8,7 Milliarden Euro. In diesem Jahr sind es etwa sechs Milliarden. Die Steigerungsrate betrug zehn Prozent. Der Wille zur Geldausgabe für neue Waffen ist also bei Union und auch bei der SPD vorhanden.

Bezüglich der Haltung zu Russland gibt es im Vergleich mit dem Weißbuch von 2006 gravierende Änderungen ins Gegenteil. Damals war noch davon die Rede »eine dauerhafte und belastbare Sicherheitspartnerschaft mit Russland zu entwickeln und zu vertiefen«, und von Russland als »herausgehobener Partner von NATO und EU« wurde gesprochen. Die Änderung bringt Kornelius auf den Punkt: »Seit dem Kalten Krieg hat keine Bundesregierung so eindeutig ein Land als bedrohlich gezeichnet.« Unterschlagen wird hier, dass die NATO-Staaten zehnmal so viel für das Militär ausgeben wie Russland und viermal so viele Soldaten unter Waffen haben. Russland ist in der Defensive.

EU-Militarisierung

Die Aufrüstung Deutschlands verändert aber auch nach dem Brexit die Stellung des Landes in Europa im militärischen Bereich. Denn würde die nach Deutschland zweitgrößte Wirtschaftsmacht der EU, Frankreich, ebenfalls zwei Prozent für das Militär ausgeben, wäre Deutschland die größte Militärmacht der EU. Das liegt daran, dass Frankreichs BIP um 30 Prozent unter dem deutschen liegt und somit auch dessen Militärausgaben.

Nach dem Brexit verstärkt die Bundesregierung ihre Bemühungen, die militärische Komponente der EU massiv zu stärken. Sie wird zwar immer als Stärkung von NATO und EU kommuniziert, aber die Wortmeldungen pro EU-Armee häufen sich. Besonders hervortun sich da Gabriel, Juncker und Kauder.

Am 10.2. überraschte die FAZ mit der programmatisch zu verstehenden Aussage: »Die Bundeswehr entwickelt sich zur führenden NATO-Armee in Europa«. Man fragt sich: Wie kommen die darauf? Aufgrund folgender Vorhaben:

Je eine tschechische und eine rumänische Brigade ordnen sich deutschen Divisionskommandos zu, üben gemeinsam, um die Kampfkraft zu steigern. Mit den Niederländern ist das ohnehin schon der Fall. Zwei Drittel der holländischen Heeresverbände sind den deutschen Kommandostrukturen unterstellt.

Nur zwei Tage danach wurde bekannt, dass Deutschland und Frankreich gemeinsam eine Lufttransportstaffel aufstellen wollen, tags darauf wurde die Absicht verkündet, eine Luftbetankungsflotte mit vier weiteren europäischen NATO-Ländern zu bilden. Im März wurde ein EU-Hauptquartier ins Leben gerufen, um den Armeeaufbau der fünf Länder der Sahel-Zone unter deutsch-französischer Führung in Angriff zu nehmen. Zuvor schon vereinbart war die Zusammenarbeit bei der Kampfdrohnenentwicklung in Europa und die Bildung der superschnellen NATO-Eingreiftruppe mit deutscher Beteiligung. Der Leitartikler der FAZ wagt einen strategischen Blick in die Zukunft: »Das Geflecht dieser Zusammenarbeit der europäischen NATO-Partner unter maßgeblicher deutscher Führung kann auf diese Weise zum Wurzelwerk einer europäischen Armee werden.«

Der Einsatz mit den meisten Soldaten zurzeit ist der in Afghanistan mit über 1.000, gefolgt von den beiden Einsätzen in Mali mit zusammen über 900 Soldaten, KFOR im Kosovo mit über 500 und dem in Litauen mit 450 Soldaten, dann »Counter Daesh« in Syrien und dem Ausbildungseinsatz im Irak mit zusammen über 400 Soldaten, dann die Marineeinsätze UNIFIL vor dem Libanon mit 130 und »Sophia« vor Libyen und Atalanta vor Somalia mit je 80. Die personell kleinsten sind ein EU-Ausbildungseinsatz in Somalia, Beobachtungseinsätze in Darfur, im Süd-Sudan sowie in der West-Sahara mit Soldatenzahlen zwischen 1 und 9.

Marius Pletsch »Bestandsaufnahme Drohnen«, IMI, Stand 5.3.17: Neu sind 10 PD-100 Black Hornet PRS (Gewicht 16 Gramm, libellengroß, mit 3 Kameras bestückt, Flugdauer 20 bis 25 Min) als »Einsatzsofortbedarf« für Spezialkräfte

Lühr Henken ist Sprecher des Netzwerks Friedenskooperative